Benedikt Gollhardt
05.2019 Andreas Kurth im Gespräch mit Benedikt Gollhardt über sein Roman-Debüt "Westwall".
Gerade das Thema Verfassungsschutz findet in der Literatur und im Film sehr wenig statt.
Krimi-Couch:
Benedikt Gollhardt, eine Jugendbande wird von einer Rechtsradikalen zu kleinen Killern gedrillt, und das am Westwall. Wie kommt man auf so eine Geschichte und auf diesen Schauplatz?
Benedikt Gollhardt:
Den Westwall hatte ich schon lange im Hinterkopf, im Kölner Raum ist er auch noch deutlich präsenter als in weiter östlichen Gebieten. Mich hat das Monströse an diesem gigantischen, größenwahnsinnigen Militärbauwerk fasziniert. Ich hatte das Gefühl, ich würde gerne eine Story dazu machen, dachte damals aber eher an eine Krimi-Komödie mit irgendwelchen Bullen, die es in die Provinz verschlägt - also etwas Komisches mit dem düsteren Titel “Westwall” als Kontrast. Das war dann viele Jahre eingeschlafen, bis irgendwann ein Impuls kam, eine Mini-Serie für einen der Streaming-Dienste zu machen. In dieser Zeit hatte ich durch den NSU-Komplex den Wunsch, etwas Politisches zu machen, was auch die Stimmung im Land einfängt. Als ich dann überlegte, wo könnte eine NSU-ähnliche Gruppe untertauchen, kam mir der Westwall wieder in den Sinn. Die Kombination mit verführten obdachlosen Jugendlichen und jungen Erwachsenen bot sich gut als Sinnbild für die Schieflage unserer Gesellschaft an. Es gibt erschreckend viele obdachlose Jugendliche in Deutschland, die hätten theoretisch alle ein Motiv, sich einer extremistischen Gruppierung anzuschließen. Aber mir ist ganz wichtig: Diese Kids sind Verführte, die radikalisieren sich in dem Roman nicht aus eigenem Impuls, sondern werden ganz langsam durch eine charismatische Anführerin hineingezogen. Und viele steigen dann auch aus, wenn es ans Eingemachte geht.
Krimi-Couch:
Mit Julia und Ira dominieren zwei starke Frauen die Handlung. Es ist selten, dass ein Mann solche Protagonistinnen beschreibt. Wie sind sie darauf gekommen, zwei so starke Frauen einzubauen in ihre Geschichte?
Benedikt Gollhardt:
Gute Frage. Ich war und bin viel von Frauen umgeben, bin bei meiner Mutter groß geworden und lebe zusammen mit meiner Ehefrau und meiner Tochter. Und im Medienbetrieb arbeitet man sehr viel mit Frauen zusammen. Vielleicht geben weibliche Charaktere für manche Stoffe, wie z.B Psychothriller mehr her, weil sie anders auf der emotionalen Ebene mit sich ringen, bevor sie offensiv nach außen handeln.
Krimi-Couch:
Ein rechtsradikaler Zirkel mit Polizisten und Verfassungsschützern unter der Reichskriegsflagge. Hat der NSU-Komplex Sie zu dieser Konstellation inspiriert?
Benedikt Gollhardt:
Auf jeden Fall! Damals beim NSU-Komplex gab es, wie gesagt, bizarre Vorfälle. Darunter auch einen beteiligten Polizisten, der Mitglied in einer Ku-Klux-Clan-Gruppe war, ich glaube irgendwo in Schwaben. Im ersten Entwurf meiner Geschichte hatte ich solch eine Ku-Klux-Clan-Gruppe eingebaut, was ich sehr spannend fand, weil ich da auch mit Kapuzen arbeiten und das Outing eines Verfassungsschützers bildlich machen konnte. Das haben mir aber meine Probeleser nicht abgekauft, obwohl der Ku-Klux-Clan auch in Deutschland mit kleinen Gruppen präsent ist. Allerdings sind die Reichsbürger eine deutlich ernster zu nehmende Erscheinung und waren dann ein passender Ersatz für meine Geschichte.
Krimi-Couch:
Im Trailer zum Buch sagen Sie, dass Sie eine Geschichte schreiben wollten, die den Nerv der Zeit trifft. Was genau meinen Sie damit?
Benedikt Gollhardt:
Es geht darum, dass wir alle diese Grundverunsicherung spüren. Die politischen Umwälzungen, die Digitalisierung, der Vertrauensverlust in die Politik und in den ganzen Sicherheitsapparat. Das ist, finde ich, noch nicht so in der Breite bespielt worden. Gerade das Thema Verfassungsschutz findet in der Literatur und im Film sehr wenig statt. Das hängt sicher auch damit zusammen, dass es eine extrem undurchsichtige, im Dunkeln befindliche Behörde ist. Mit den Vorfällen rund um den NSU-Komplex, stand der Verfassungsschutz plötzlich im Licht der Öffentlichkeit. Die Pannen und Ungereimtheiten dieser Affäre waren schockierend und völlig unglaublich! So etwas hätte ich nie gewagt, mir auszudenken! Aber die Realität war damit verschoben und das Denkbare und Erzählbare wurde für mich als Autor plötzlich erweitert.
In „Westwall“ ging es mir dann darum, das Gefühls- und Seelenleben von acht Protagonisten als Sittenbild unserer Zeit zu schildern. Da geht es vom psychopathischen Gewalttäter bis zum Ausbilder-Cop oder obdachlosen Jugendlichen. Jeder hat seine Befindlichkeit, aber alle reagieren auf ähnliche Unsicherheiten, die wir als Leser genauso spüren. Dadurch werden Figuren, die sowohl gute, wie böse Anteile haben plötzlich sehr lebendig und glaubwürdig.
Krimi-Couch:
Sie sprechen von “Westwall” als Mischung aus politischem und psychologischem Thriller. Überwiegt am Ende nicht doch das politische Element?
Benedikt Gollhardt:
Das Politische durchdringt immer stärker unser Leben und ist damit auch die Grundlage für den Plot. Aber für mich als Autor sind die Figuren und ihre persönlichen Konflikte mindestens genauso wichtig, da sie erst das Herz der Geschichte zum schlagen bringen. Für mich könnte “Westwall” genauso gut als Familienroman gelesen werden. Es wäre mir durchaus lieb, auch solche Leser zu erreichen.
Krimi-Couch:
Kommen wir nochmal auf den Westwall und die so genannten Westwall-Ringe. Ist das für Neonazis und Rechtsradikale ein Mythos, den sie gerne aufleben lassen möchten? Wie realitätsnah ist ihr Szenario an dieser Stelle?
Benedikt Gollhardt:
Natürlich möchte ich diesen Mythos nicht aufleben lassen, ich möchte ihn kritisch hinterfragen. Prinzipiell wäre ich aber nicht unzufrieden, wenn auch Rechte das Buch lesen würden, wenn sie auf den Titel aufmerksam werden würden, weil sie da rechtes Gedankengut wittern, um dann ganz unterschwellig mit der Botschaft des Buches konfrontiert zu werden, dass Extremismus jeder Couleur ins Verderben führt. Vielleicht gibt es ja durch das Buch eine minimale Bewegung in ein paar Hirnen, das würde mir schon reichen.
Der Westwall selber ist ein eigenes Thema, er lebt zur Zeit als Touristenziel auf. Es gibt einen Westwall-Wanderweg, es gibt einen Literatur-Trail, denn Hemingway und Salinger waren dort am Ende des Zweiten Weltkrieges. Es gibt einige kleine Privat-Museen, die leider unkritische Sammlungen von Alltags- und Militärgegenständen aus der Nazizeit sind. Es gibt einen Kölner Historiker, der angeboten hat, das richtig zu kuratieren, dem aber leider nur Absagen erteilt wurden. Ich hoffe sehr, dass am Westwall mehr über Erinnerungskultur diskutiert wird, denn in der Nordeifel gibt es etliche Rechtsextremisten, die Fackel-Aufmärsche an Kriegsgräberstätten veranstalten und schon kritische Gedenktafeln geschändet haben. Das ist hochproblematisch.
Krimi-Couch:
Das Buch war als Einzelband geplant, aber wenn ich richtig informiert bin, soll es nun doch weitergehen mit Julias Geschichte. Wann und wie?
Benedikt Gollhardt:
„Westwall“ ist keine “ein Fall für…”-Geschichte und damit nicht leicht fortzuführen. Trotzdem haben die Figuren noch Potenzial, das sagen auch viele Leser, und ich denke zur Zeit darüber nach, ob und wie ein oder mehrere Protagonisten noch sinnvoll weitererzählt werden können. Voraussetzung muss ein Plot sein, der sich an dem von „Westwall“ messen lassen kann.
Krimi-Couch:
Man merkt dem Buch an, dass es ein Drehbuchautor verfasst hat - was ich keinesfalls negativ finde. Aber war es schwer, jetzt ein “normales” Buch zu schreiben? Oder denkt man den Film schon immer mit?
Benedikt Gollhardt:
Ja, ich hatte die Bilder zu „Westwall“ immer sehr deutlich im Kopf. Ursprünglich hatte ich ein 40-seitiges Konzept der Geschichte für eine Fernsehserie geschrieben, aus der zum Glück erst mal nichts geworden ist. Als ich dann mit der Romanfassung begann, habe ich meine Freiheiten wahnsinnig genossen. Rücksprünge, innere Monologe, auf Seiten ausgedehnte Sekunden-Bruchteile, Blicke in emotionale Abgründe - das sind tolle und völlig ungewohnte Elemente für einen Drehbuchautor.
Krimi-Couch:
Wird “Westwall” denn verfilmt? Wenn ja, schreiben Sie doch sicher höchstpersönlich das Drehbuch?
Benedikt Gollhardt:
Es gibt Verhandlungen, die schon recht gut fortgeschritten sind. Es ist noch nicht im Sack, aber es ist geplant, eine Mini-Serie mit sechs Folgen zu machen, und die Drehbücher werde ich auch selbst schreiben. Mal sehen, ob ich dann die Freiheiten des Romanschreibens vermissen werde...
Das Interview führte Andreas Kurth im Mai 2019.
Foto: © Patrick Dosanjh
Neue Kommentare