Dean Koontz
04.2019 Almut Oetjen im Gespräch mit Dean Koontz über seine aktuellen Bücher "Suizid" und "Gehetzt". Einige Fragen setzen die Kenntnis der beiden Romane voraus.
Krimi-Couch:
Um ihre Ziele verfolgen zu können, muss Jane Hawk vollständig unter dem öffentlichen Radar bleiben. Was bedeutet das für Sie in Zeiten kontinuierlicher Überwachung öffentlicher Räume?
Dean Koontz:
Ich habe Geschichten mit Charakteren gelesen, von denen es hieß, sie würden unter dem Radar bleiben, aber ich habe zahlreiche Möglichkeiten gesehen, wie sie aufgespürt und gefangen werden können. Mir gefiel die Herausforderung, einen Charakter zu schreiben, der wirklich unter dem Radar bleiben könnte und klug genug wäre, dort auch zu bleiben, selbst wenn der gesamte Sicherheitsapparat des Landes ihn jagen und töten will. Ich habe versucht, es für Jane so schwierig zu machen, wie ich konnte - was mir wiederum das Schreiben erschwerte! Aber die Herausforderung, etwas zu tun, was man zuvor noch nie getan hat, begeistert einen Schriftsteller. Soweit es den Überwachungsstaat betrifft, an dem wir freudig arbeiten, das Internet der Dinge eingeschlossen: Orwell war nicht alarmistisch genug.
Krimi-Couch:
Hatten Sie das gesamte Szenario sowie die Verschwörungsgeschichte fertig entworfen, bevor Sie mit dem Schreiben begannen, oder beschlossen Sie, mit Ihren Figuren durch die Geschichte zu reisen?
Dean Koontz:
Ich entwerfe nie eine Handlungsskizze. Als ich mit dem ersten Roman begann, dachte ich an ein Einzelwerk. Während der Lektüre eines Beitrages, in dem Elon Musk von der kommenden besseren Welt schwärmte, in der wir das menschliche Gehirn mit „Neural Lace“ ausstatten können, um uns telepathisch (über Mikrowellen) mit Computern zu verbinden, kam ich auf die Prämisse mit den Nano-Implantaten. Musks Utopie sah aus wie mein schlimmster Alptraum. Ich wollte die dunkleren Möglichkeiten erkunden, die ihm scheinbar nicht in den Sinn kamen. Nach etwa zwanzig Seiten geschah dann etwas Erstaunliches: Jane wurde für mich so lebendig, dass ich mich in sie verliebte und wusste, dass ich ihr durch mehr als ein Buch folgen müsste. Die Verschwörung - und ihre Komplikationen – haben sich dann organisch entwickelt.
Krimi-Couch:
Wie hat sich Ihrer Meinung nach Jane seit dem ersten Roman der Reihe entwickelt?
Dean Koontz:
Jane ist schön und wild, sensibel aber tough, optimistisch aber besorgt. Mit dem Fortschreiten der fünf Bücher wächst ihr Entsetzen über die seelenlose Natur der Verschwörung und die Welt ohne Freiheit geometrisch an, bis sie so mutig wird, dass es an Wahnsinn grenzt, so selbstlos, wie ein menschliches Wesen nur sein kann, und dennoch immer demütiger wird angesichts dessen, was ihr abverlangt wird. In den letzten zwei, vielleicht drei Büchern, als sie legendären Status zu erwerben beginnt, scheut sie tatsächlich davor zurück, als Heldin bezeichnet zu werden; sie versteht mittlerweile, dass, selbst wenn sie die Verschwörer zur Strecke bringt, das Böse nie stirbt. Ihre Demut ist die Folge ihrer harten Erfahrungen.
Krimi-Couch:
Das Grundproblem Ihrer Hawk-Romane scheint der Diskurs über Macht und freien Willen im Verhältnis zu neuen Technologien zu sein. Würden Sie dem zustimmen?
Dean Koontz:
Ja. Technologie entwickelt sich heute so rasant, dass wir keine Zeit haben - oder uns Zeit nehmen - die moralischen Implikationen zu betrachten. Weicher Totalitarismus kann in Gestalt cooler neuer Gadgets kommen und als Serviceleistungen, die zur gleichen Zeit in unsere Privatsphäre eindringen und unsere Freiheiten aushöhlen.
Krimi-Couch:
Nanotechnologie hat die öffentliche Vorstellungskraft beflügelt und wird als revolutionäre wissenschaftliche Entwicklung im Dienst der Menschheit gesehen. Sie scheinen die negativen Aspekte der Technologie zu fokussieren, jedoch nicht auf pessimistische Weise. Halten Sie es für notwendig, den Diskurs zu komplementieren oder auszubalancieren?
Dean Koontz:
Die Nanotechnologie wird, wie alle Technologie, viele Vorteile mit sich bringen. Das Problem unserer Zeit ist, dass zu viele Menschen nicht die dunkle Seite der Hochtechnologien sehen. Jede Technologie hat eine helle und eine dunkle Seite, ebenso wie die Atomenergie sauber ist und Atombomben nichts Empfehlenswertes haben, außer dass sie Schutz bieten vor den Atombomben des anderen.
Krimi-Couch:
Die Techno-Arkadier verwenden Nanotechnologie zur Gehirnmanipulation und glauben, alles unter Kontrolle zu haben. Die via Nanotechnologie manipulierten Kojoten sind jedoch die ersten Versuchsobjekte, die unvorhersehbares Verhalten zeigen. Wird es im späteren Verlauf der Geschichte etwas geben, was in Richtung der berühmten Aussage aus Michael Crichtons Jurassic Park geht: „Das Leben findet einen Weg“?
Dean Koontz:
Es gibt einen Payoff für die Kojoten-Szene im vierten Buch, unter Verwendung des Flüsterraums aus >Gehetzt<. Es ist, wenn ich so sagen darf, haarsträubend. Während des Schreibens der Szene musste ich immer wieder meine Nerven beruhigen und bin dann über den Flur in meinen Fitnessraum gegangen, um dort ordentlich ins Schwitzen zu kommen. Es geht in der Szene aber nicht so sehr darum, dass „das Leben einen Weg finden wird“, sondern mehr darum, dass der menschliche Geist, wenn er zu aggressiv unterdrückt wird, nicht mehr wie eine Maschine gehorcht und in unberechenbarer Weise zusammenbricht.
Krimi-Couch:
Ich lese Ihre Romane bereits seit einigen Jahren. Was mich daran am meisten beeindruckt, sind Ihr bemerkenswerter Wortschatz und Ihr Umgang mit Sprache. Wie würden Sie Ihr Verhältnis zur Sprache beschreiben?
Dean Koontz:
Ich liebe die Sprache. Als Leser liebe ich lyrisches Schreiben, weil es der Stimmung, dem Thema, der Charakterisierung und dem Setting hilfreich ist und alledem zusätzliche Tiefe hinzufügen kann. Ich bin kein Minimalist. Ich glaube, dass voll ausgeschriebene Szenen die Einbeziehung aller fünf Sinne erfordern; und indem man alle geschmeidigen Tricks der Sprache anwendet, muss man Szenen mit einem besonderen sechsten Sinne anreichern. Mit dem „sechsten Sinn“ meine ich eine Wahrnehmung dafür, dass es ein nicht verstehbares Geheimnis des Lebens gibt, das in jedem bestimmten Ereignis erhalten bleibt, auch nachdem wir alle Fakten darüber zu kennen scheinen. Auf der anderen Seite glaube ich, obwohl ich kein Minimalist bin, an schlanke, schnelle Prosa. Das ist kein Widerspruch. Ich lese sehr gerne Dichtung, und die beste Dichtung ist sowohl lyrisch als auch prägnant. Tatsächlich hilft lyrische Prosa, die erzählerische Komprimiertheit zu verbessern, denn eine sinnträchtige Zeile mit einem eindringlichen Bild kann dem Leser Informationen vermitteln, für die man sonst eine Seite behäbiger Prosa benötigt.
Krimi-Couch:
Manche Schriftsteller sagen, ihr bester Kritiker sei ihre Ehefrau oder ihr Ehemann. In welchem Ausmaß ist Ihre Frau Teil Ihres kreativen Prozesses?
Dean Koontz:
Gerda, meine Frau, ist mein erster Leser und vertrauenswürdigster Kritiker. Das ist nicht nur eine Frage ehelicher Loyalität. Sie ist eine lebenslange und perzeptive Leserin. Gemeinsam haben wir eine beträchtliche Tiefe an Lebenserfahrung (uns gibt es schon seit den Mammuts!), und wir haben den gleichen Sinn für Humor bei allem, was wichtig ist, weil selbst meine dunkelsten Geschichten mit Humor durchsetzt sind. Wenn sie sagt: „das funktioniert nicht“, sehe ich es mir wieder und wieder an – und stimme in den meisten Fällen zu.
Das Interview führte Almut Oetjen im April 2019.
Übersetzt aus dem Englischen von Almut Oetjen.
Foto: © Thomas Engstrom
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