Profiling
Ein Krimi-Couch Spezial von Jochen König
Wenn es nur so einfach wäre
Mitunter gehen Qualität und Quote eine glückliche Verbindung ein, im Heimkino seit einigen Jahren sogar recht häufig. Eine Serie, die sowohl Kritikerlob erntet wie Zuschauerzuspruch erhält, ist die von David Fincher mitinitiierte (und teilweise inszenierte) Serie „Mindhunter“. Die auf dem autobiographischen Buch „Die Seele des Mörders – 25 Jahre in der FBI-Spezialeinheit für Serienverbrechen“ („Mindhunter“) von John Douglas beruht. Und seinen Kollegen und Mentor Robert Ressler mit einbezieht. Ressler gehört zu den Mitbegründern der Abteilung für Verhaltensforschung (Behavioral Science Unit, BSU) beim FBI. Mit ihm und Douglas hielt die Verhaltens- und Fallanalyse Einzug in die Ermittlungsarbeit des FBI, und später in weitere Polizeibehörden, sogar über Ländergrenzen hinaus.
Aller Anfang ist schwer
„Mindhunter“ erzählt über die schwierige Geburtszeit der Verhaltensforschung („Psychologie ist etwas für Bürohengste!“) im Zusammenhang mit Schwerkriminalität. Beginnend im Jahr 1977 handelt die Serie markante Stationen beim Aufbau der Abteilung für Verhaltensforschung ab.
Elementar sind die Interviews mit verurteilten Mehrfachtätern, der Begriff „Serienmörder“ wird erst später etabliert, die zu neuen Kenntnisständen führen. Im Zentrum steht die Erfassung von Mustern, eine akribische Sammelarbeit, die sich nicht nur auf die Psyche von Straftätern bezieht, sondern auf Verhaltensweisen vor, während und nach (seriellen) Straftaten sowie Aktivitäten rund um und am jeweiligen Tatort. Damit einher geht die Archivierung in einem Datenbanksystem, auf das Ermittlungsbehörden zugreifen können, um ein Täterprofil zu erstellen. Diese Katalogisierung von Falldaten, erst ViCAP (Violent Criminal Apprehension Program), dann ViCLAS (Violent Crime Linkage Analysis System)* genannt, wird sich etablieren und grenzüberschreitend, bis hin zum BKA, als Informationsgrundlage dienen. Doch bis dahin ist es ein steiniger Weg.
Der scharfe Blick unter die Oberfläche
„Mindhunter“ unterscheidet sich deutlich von krawalligeren Serien mit ähnlichem Thema wie „Profiler“, „Criminal Minds“ oder „Die Methode Tony Hill“ (nach den Romanen Val McDermids). Beinahe semidokumentarisch, wenn auch dramaturgisch verdichtet und um fiktive Nebenstränge dezent erweitert, rücken Widerstände und sich langsam einstellende Erfolge in den Mittelpunkt der filmischen Erzählung. Das geschieht in ruhigen, sorgfältig ausgearbeiteten Bildern, mit seltenen, dann aber umso effektiveren Gewaltspitzen.
Spannung bezieht „Mindhunter“ aus den dargestellten Konstellationen – insbesondere die Gespräche mit dem hochintelligenten Serienkiller Edmund Kemper bersten fast über vor Intensität – und dem ungläubigen Staunen über die engstirnige Erkenntnisverweigerung, die den Hauptfiguren Leben und Arbeit erschwert. So wäre das gesamte Projekt beinahe gescheitert, weil Holden Ford (das Alter Ego von John Douglas) es wagt den mit sexuellen Anspielungen geladenen Straßenjargon seines Gegenübers aufzunehmen und entsprechend zu erwidern, um Vertrauen zu schaffen. Nicht im puritanischen FBI. J. Edgar Hoover mag vielleicht im rosa Tütü auf dem Tisch getanzt haben, aber “ficken“ vor laufendem Verhörmikrofon zu sagen, ist tabu.
Es geht voran - langsam
Es dauert bis die neuen, gern als sinnloses Spektakel gebrandmarkten, Methoden anerkannt und angewandt werden. In der zweiten Staffel scheint sich alles zum Besseren zu wenden. Neuer Chef, neuer Schwung – und dann kommen die frustrierenden Ermittlungen zu den Morden an schwarzen Kindern, Jugendlichen und jungen Männern in Atlanta. 31 Opfer, erst eine verschleppte, dann eine schleppende Ermittlungsarbeit, in die erst schwerfällig in Bewegung gerät, als das FBI um Hilfe ersucht wird. Am Ende gibt es zwar eine Verhaftung aufgrund von Indizien, doch bleibt ein flaues Gefühl des Versagens zurück. Wayne Bertram Williams wird nur wegen erwiesener zwei der gesamten Morde angeklagt und verurteilt. Die Akten werden geschlossen, trotz gegenteiliger Bekundungen wird es bis in die Gegenwart keine weiterführenden Ermittlungen geben. Die Mordserie endet zwar mit Williams‘ Inhaftierung, die als Erfolg gewertet wird, ein erlösender Moment bleibt aus.
Bürokratische Tristesse, Unfähigkeit und Versagen – „Mindhunter“ verschließt den Blick auch davor nicht. Was die Serie mitunter zu einer zähen und desillusionierenden Angelegenheit werden lässt. Und das ist gut so. Denn es schärft den eigenen Blick und räumt auf mit der verzerrten Vision, beim (kriminalistischen) Profiling ginge es um den ultimativen Kampf zwischen Gut und Böse. Es läuft nie darauf hinaus, dass sich das kriminelle Superhirn einen Wettstreit mit dem kriminalistischen Superhirn liefert. Das ist lediglich die Fantasy-Variante des Kriminalromans und -films. Der edle Ritter im Zweikampf mit einem hochintelligenten, mörderischen Drachen. Nicht umsonst lautet der Titel von Thomas Harris‘ Roman, der den Mythos des überlegenen Serienkillers in Literatur, Film und Fernsehen mitbegründete „Roter Drache“.
Hannibal Lecter und die Folgen
Selten gab es ein Buch und seine Verfilmung, die eine derartige Zäsur im gewählten Genre einläuteten wie Harris‘ Folgeroman zum roten Drachen. „Das Schweigen der Lämmer“, sowohl in literarischer wie filmischer Form meisterliche Werke, legte den Grundstein für eine Flut von Serienkiller-Thrillern mehr oder (meist) minder begabter Adepten.
Die dem Harris-Stoff selten mehr hinzufügten und -fügen als noch brutalere Morde, abgefeimtere Killer und klügere Köpfe auf der Gegenseite. Die sich meist mit ähnlichen Traumata herumplagen müssen wie die menschlichen Monster, denen sie das Handwerk legen wollen. Da werden Menschen kopfüber an Kirchtüren genagelt, zu lebendigen Sprengfallen umfunktioniert, die Haut stückweise oder komplett abgezogen (mit schönen Grüßen von Ed Gein), vor allem weibliche Körper auf alle möglichen und unmöglichen Weisen penetriert und zerfetzt, damit die Leserschaft sich daheim wohlig gruseln kann. Gleichzeitig gebannt den Profiler*innen folgt, die mit geradezu überirdischer Intuition, Mensa tauglicher Intelligenz und dem Vermögen Puzzles aus Körperteilen korrekt zusammenzulegen, gesegnet sind. Mentalisten, Wahrsager und Geisterseher noch außen vor gelassen.
Serienkiller feiern Konjunktur, seit mittlerweile fast dreißig Jahren, und nicht einmal am Rande des Schwachsinns angesiedelte Plots können sie augenscheinlich stoppen. Was in diesen Werken über die Arbeit von Fallanalytikern fabuliert wird, veranlasst scheinbar eine Menge Menschen, sich intensiv mit dem Berufswunsch Profiler auseinanderzusetzen. Wie so oft haben Fiktion und Realität wenig miteinander gemein. Die Bewerbung ist unterwegs, doch ist der Mülleimer näher als eine Einladung zum Gespräch.
„Einen Hannibal Lecter hatten wir noch nie. Und ich bezweifle sehr, dass wir jemals einen antreffen werden“, konstatiert Harald Dern vom Bundeskriminalamt. Zu finden im empfehlenswerten Sachbuch „Profiler. Auf der Spur von Serientätern und Terroristen“ von Joachim Käppner.
Profiling – ein Denksport für die Masse
Profiling hat sich als populärer Begriff etabliert. Doch reicht der schwammige Begriff weit über den Bezug zur Kriminalität hinaus. In der Kriminalistik spricht man konkreter von der Operativen Fallanalyse (OFA).
Der Profiler, sprich Fallanalytiker, ist kein Psychologe, der sich in die Köpfe von Serienkillern begibt, um dort nach Antworten zu suchen. Um dann fast unweigerlich seinem eigenen Abgrund entgegenzublicken.
„Angehende Profiler lernen, wie sie eine Fallanalyse klar strukturieren, sie lernen den Umgang mit relevanten Datenbanken und wie aus dem Tatverhalten logische Schlüsse auf Persönlichkeitsmerkmale des Täters abgeleitet werden, und sie absolvieren Praktika in Forensik.“ (Zeit Online, 9. 10. 2012)
In das Auswahlverfahren für die Arbeit als Profiler gelangen nur erfahrene Ermittler, externe Bewerber haben keine Chance. Zudem liegt die Stellenanzahl in der ganzen Bundesrepublik bei mageren 80 (Stand Ende 2012) Analytikern.
Operative Fallanalyse
Bei der Operativen Fallanalyse geht es um mehr, sie ist Sammelarbeit, Spurensuche, Tatortanalyse, Pflege und Erweiterung von Datenbanken. In der rückblickenden Betrachtung des Täterverhaltens am Tatort sollen Schlüsse auf den Täter gezogen und Muster gefunden werden, die in der Zukunft bei ähnlich gearteten Fällen die Aufklärung von Morden und Sexualstraftaten erleichtern.
Profiling und seine Fallstricke
Anders sieht es beim „Profiling“ aus. Das findet unter anderem Einzug in die Arbeitswelt. Berufliches Profiling beschäftigt sich mit den Anforderungen einer Stelle (Stellenprofil) und der Analyse der Merkmale und Fähigkeiten der jeweiligen Bewerber (Kandidatenprofil). Ein mehrteiliger Kriterienkatalog hilft bei der Auswahl des besten Aspiranten.
Dass es trotzdem so viele „Nieten in Nadelstreifen“ gibt und auch in der Kriminalistik tragische Fehlschlüsse vorkommen, zeigt die Tücken des Profilings. Eklatantestes Beispiel in jüngerer Zeit betrifft die Ermittlungen zu den sogenannten NSU-Morden. Während es Fallanalytiker gab, die unzweifelhaft Belege für die Täterschaft einer neonazistischen Gruppierung sahen, werteten andere Indizien und Spuren als Beweis für die Machenschaften krimineller Ausländer („Türkenmafia“). Letztere lagen eindeutig falsch und bekamen doch das größere Gehör. Warum dem so war kann in zahlreichen Berichten, Protokollen und anderen Publikationen nachgelesen werden. Verknappt nur so viel: Auch wenn Profiler um größtmögliche Objektivität bemüht sein sollten, können sie sich mitunter nicht davon freisprechen, Erwartungshaltungen genügen zu wollen. Den eigenen und den von ihren Auftraggebern. Und manche Hinweise lassen unterschiedliche Schlüsse zu. Die erst ausgeräumt werden, wenn weitere Erkenntnisse hinzukommen, die Kategorisierungen fundierter und Datenbanken vergrößert werden.
Womit wir wieder einen Bogen zu „Mindhunter“ schlagen können. Der Bürgermeister und der überwiegende Teil der schwarzen Bevölkerung Atlantas vermutete den Ku-Klux-Klan hinter der Mordserie. Der FBI-Agent Holden Ford sprach sich für einen schwarzen Einzeltäter aus, gemäß der Erkenntnis, dass Serienmörder nur äußerst selten Opfer mit einer anderen Hautfarbe als der eigenen auswählen. Obwohl das FBI die junge Wissenschaft auf seiner Seite hatte, stand der Vorwurf des „racial-“ beziehungsweise „ethnic-profilings“ im Raum. Bei dem davon ausgegangen wird, dass Menschen einer anderen Ethnie von vornherein als verdächtig erscheinen. Auch der partielle Fahndungserfolg, der in der Verhaftung von Wayne Williams gipfelte, konnte den Vorwurf und Zweifel nicht komplett aus dem Weg räumen.
Die operative Fallanalyse – trotz und nach Widerständen ein Erfolgsmodell
Trotz dieser Irrungen und Wirrungen hat sich die Operative Fallanalyse als wichtiges und wirkungsfähiges Instrument bei der Fahndung nach seriellen Straftätern erwiesen. Auf der Internet-Seite des Bundeskriminalamtes lassen sich viele Informationen und Hintergründe zum Thema finden und herunterladen. Sehr lohnenswert für Interessenten, die sich jenseits des Fabulösen und Nebulösen informieren möchten.
Is there a method in madness?
"Profiling - wenn es nur so einfach wäre" von Jochen König
Titel-Motiv: © istock.com/Motortion
Bilder und Titelmotiv "Mindhunter": mit freundlicher Genehmigung von Netflix
"Mindhunter" bei Netflix
* Nähere Infos zu ViCAP und ViCLAS auf der Website des BKA
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