Aufgeklärt:
Whodunit
Mörderische Fangspiele, die gerne im Kaminzimmer enden
„Whodunit“ (oder auch „Whodunnit“) bezeichnet jenen Teil der Kriminalliteratur, in der die Entlarvung des Täters, der Täterin oder einer ganzen Tätergruppe andere Themenbereiche überlagert. Zwar spielen die Mordmotive noch eine Rolle und beim Locked Room-Mystery drängt sich das „Wie geschah der Mord?“ gegenüber dem „Wer hat es getan?“ in den Vordergrund, aber die Struktur bleibt gleich: Aus einer überschaubaren Anzahl an Verdächtigen, angesiedelt in einer ebenso übersichtlichen Topographie, erschließt eine detektivische Geistesgröße sich und dem Leser die wahre und, zumindest in der Absicht, überraschende Identität des jeweiligen Täters.
„Who has done it?“ wird also abgekürzt zum griffigen Genrebegriff Whodunit, der bereits früh die Kriminalliteratur prägte und auch in deren „goldenen Zeitalter“ eine gewichtige Rolle spielte. Edgar Allan Poe lieferte mit „The Murder In The Rue Morgue“ eine Blaupause, die bereits Whodunit und Locked Room Mystery vereinte. Wilkie Collins‘ „Moonstone“ („Der Monddiamant“) war ein früher Höhepunkt in Langform, bevor Arthur Conan Doyle mit seinen Geschichten und Romanen um Sherlock Holmes und seinen Adlatus und Biographen Dr. Watson, das Fundament zementierte, auf dem Agatha Christie, Dorothy L. Sayers, R. Austin Freeman oder in Amerika Earl Derr Biggers, dessen Charlie Chan-Romane gerne und viel verfilmt wurden, Rex Stout (mit Grenzüberschreitungen) und zahlreiche weitere Autor*innen ihre Herrschaftshäuser errichteten.
Das duale System, einen eher durchschnittlich begabten Erzähler und Freund an die Seite des kongenialen Ermittlers zu stellen, quasi als ins literarische Geschehen involvierten Stellvertreter des Lesers, wurde oft und gerne strapaziert. Nicht allerdings von Edgar Wallace, in dessen umfangreicher Bibliographie auch Whodunits, gerne ergänzt um hemdsärmelige Action, Platz fanden. Wer war nochmal „Der Frosch mit der Maske“?
Zurück zu den Wurzeln, Scheherazade
Ursprünge des Whodunits lassen sich aber bereits in den „Geschichten aus Tausendundeiner Nacht“ finden. Explizit in der „Geschichte der drei Äpfel“. Dort mischt sich der Kalif mit seinem Großwesir Djafar unters gemeine Volk und stößt auf eine zerstückelte Frauenleiche. Djafar soll den Täter dingfest machen. Als ihm dies nicht gelingt, befiehlt der Kalif kurzerhand den Großwesir und seine Familie hinzurichten. Das behagt dem reuigen Täter nicht, und er stellt sich. Und noch ein zweiter dazu, der den ersten entlastet. Daraus entspinnt sich die Geschichte der drei Äpfel, in der kleine Lügen zu großen Katastrophen führen. Am Ende ist der Verlauf der Geschehnisse entschlüsselt, ein Mörder und der ahnungslose Initiator der Tat sind überführt. Der so berüchtigte wie berühmte Kommissar namens Zufall, ein niemals zu unterschätzendes Momentum, spielt bei der Aufklärung der rätselhaften Begebenheiten eine entscheidende Rolle.
Der Leser rätselt mit
Der Reiz eines Whodunits liegt einerseits darin, sich an der intellektuellen Überlegenheit seiner Protagonisten wie Sherlock Holmes, Hercule Poirot, Miss Marple, Lord Peter Wimsey, Father Brown oder Nero Wolfe, zu erfreuen, oder selbst der deduktiven Knobelei zu frönen und unabhängig vom literarischen Konkurrenten den Täter zu entlarven. Kein leichtes Unterfangen, wenn man von Infos abhängig ist, die eher unbewanderte Erzähler übermitteln.
Was gleich zu zwei Hauptproblemen des Whodunit führt. Ist die Auflösung zu naheliegend und nachvollziehbar, geht viel vom Unterhaltungswert flöten, wird allerdings ein völlig abseitiger Täter aus dem Hut gezaubert, dessen Identität sich lediglich aus dem behaupteten Wissen des Ermittlers speist, wird es ebenso unbefriedigend. Paradebeispiel ist ein Roman, der mitunter als der große Houdini des Whodunit gepriesen wird. Mit einer Auflösung, die vorgeblich unglaublich raffiniert daherkommt und damit für ungemeine Verblüffung sorgt. Gemeint ist Agatha Christies „The Murder Of Roger Ackroyd“ („Alibi“) dessen Überraschungsmoment auf der simplen Tatsache beruht (Vorsicht SPOILER!), dass der Erzähler lügt. Die Autorin spielt unfair und der Leser ist der Gelackmeierte. Oder betrachtet den Roman als kleine Studie über unzuverlässiges Erzählen.
„Who Cares Who Killed Roger Ackroyd?“
„Wen kümmert’s, wer Roger Ackroyd tötete?“ fragte der Literaturkritiker Edmund Wilson. Und spielte damit nicht nur auf Agatha Christies Taschenspieltricks an, sondern darauf, dass sich der Kriminalroman in Gestalt des Whodunits in Kaminzimmern, Pfarrhäusern, Nobelzügen und sonstigen Versammlungsorten jedweder gesellschaftlichen Verantwortung und Bedeutung entzog, stattdessen in der eigens erschaffenen Oase endlos „Cluedo“ im überdeutlichen Schatten von Sherlock Holmes spielte. Während sich draußen bereits die Pfade verzweigten und zu hartem Asphalt wurden, auf dem sich Schnüffler herumtrieben, deren detektivische Zielsetzung sich nicht allein an der aufsehenerregenden Entlarvung des Oberschurken orientierte.
Der Mörder ist immer der Butler, Entschuldigung, Gärtner
Dennoch behauptet sich der Whodunit wacker, unter die Räder kamen die mehr oder minder geistvollen Rätselspielchen nie. Simon Beckett leistete sich sogar den Spaß (Vorsicht wieder ein SPOILER) im ersten Auftritt seines Helden David Hunter, der Holmes und Watson in einer Person vereint, den beinahe sprichwörtlichen Gärtner tatsächlich als Mörder zu präsentieren. Auch wenn dies noch nicht das Ende des Mordens bedeutete. Zwar hofft man, dass dieser Twist (sowie das Vorhandensein eines übellaunigen Dorfpfarrers) parodistisch gemeint sein soll, doch zelebriert die „Chemie des Todes“ eher eine Art blutrünstige Unbedarftheit und wird dafür mit Top-Verkaufszahlen belohnt. Ähnlich funktionieren auch viele in Schlachtplatten verliebte Serienkiller-Thriller. Zieht man das gewaltstarrende Brimborium ab, bleibt oft nicht mehr übrig als ein bescheidener, kleiner Whodunit.
Whodunit in Film und Fernsehen – ein Dauerbrenner
Seine erfolgreichste Heimstatt besitzt der Whodunit allerdings im Fernsehen. Ob die als „Straßenfeger“ bekannt gewordenen Francis Durbridge-Verfilmungen der Sechziger, mit Einschaltquoten bis zu 90%, „Stahlnetz“, „Der Kommissar“, die zahlreichen Poirot-, Sherlock Holmes oder Father Brown-Inszenierungen, bis hin zu langlebigen Serien wie „Mord ist ihr Hobby“ und dem immer noch aktiven Inspector Barnaby (erst Tom, dann Cousin John), der Whodunit feiert fröhliche Urständ.
Was selbst invertiert klappt. Im etwas unglücklich „howcatchem” („How catch them?” – auf Deutsch in etwa „Wie kriegt man sie?“) benannten Segment, weiß der Zuschauer schon früh, wer der Bösewicht ist. Doch folgt man dem Detektiv gerne bei seinen Bemühungen, die jeweiligen Täter zu entlarven. Solange Buch und Figuren ihr Publikum nicht unterfordern. „Inspector Columbo“ hat es über Jahrzehnte exzellent hinbekommen, „Derrick“ kehrte nach wenigen „invertierten“ Folgen zum klassischen Modus zurück, bei dem die Identität des Mörders vorerst unbekannt blieb. Das machte die Serie trotzdem nicht erfreulicher. Statt Horst Tappert loben wir uns lieber David Suchet, Jeremy Brett, Benedikt Cumberbatch, John Nettles und den unvergleichlichen Peter Falk.
Um die Zukunft des Whodunit muss man sich keine Sorgen machen. Selbst der Orient-Express rollt wieder.
"Aufgeklärt: Whodunit" von Jochen König
Foto: © istock.com/peepo
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