03.2024

Otto Penzler ist der König der Krimis

Geboren in Hamburg gründet Otto Penzler in New York den inzwischen ältesten und größten Krimi-Laden der Welt. Zur «Tatort»-Begeisterung der Deutschen hat der «König der Krimis» seine eigene Theorie.

New York (dpa) - Alles begann mit Sherlock Holmes. Nach einem Studium unter anderem der englischen Literatur in Michigan kam Otto Penzler Ende der 60er-Jahre zurück nach New York. «Ich liebe lesen und ich wollte weiterhin lesen - aber ich wollte auch, dass mein Kopf nicht mehr so weh tut. Also dachte ich: Mystery.»

Penzler kauft sich die gesammelten Werke des britischen Schriftstellers Arthur Conan Doyle über den Detektiv Sherlock Holmes - und nimmt sie abends mit ins Bett. «Ich erinnere mich nicht nur daran, wie sehr ich die Bücher geliebt habe, sondern auch daran, wie sie ausgesehen und wie sie sich angefühlt haben», sagt der heute 81-Jährige. «Ich hatte Gänsehaut, die Haare auf meinen Armen standen hoch. Es war unvergesslich, ich erinnere mich daran, als ob es gestern gewesen wäre.»

Rund ein halbes Jahrhundert später hat der in Hamburg geborene Penzler seine Sherlock-Holmes-Faszination zu einem Krimi-Imperium ausgebaut: Mit rund einem halben Dutzend Verlagen veröffentlicht er Bücher rund um Mystery, Thriller, Krimi, Detektive und Spionage, darunter zuletzt beispielsweise auch Romane des früheren FBI-Chefs James Comey.

Penzlers Sammlung von mehr als 60.000 antiquarischen Büchern zu diesen Themen, die zu den weltweit größten gehörte, hat er inzwischen fast komplett schon wieder versteigern lassen. Seit 1979 führt er zudem den mittlerweile größten und ältesten Krimi-Buchladen der Welt, den inzwischen im Südwesten von Manhattan angesiedelten «Mysterious Bookshop». Rund 20.000 Bücher befänden sich hier alleine im Hauptverkaufsraum, sagt Penzler. Alle alphabetisch geordnet. «Ich bin Deutsch. Chaos gibt es bei mir nicht.»

«In Deutschland hatten wir immer Hunger»

1942 wurde Penzler in Hamburg geboren, als Sohn einer amerikanischen Mutter und eines deutschen Vaters, mitten im Krieg. Der Vater war Soldat und starb im Krieg, die Mutter versuchte verzweifelt, mit Penzler und seinem jüngeren Bruder aus den Bomben heraus zurück nach New York zu fliehen, was ihnen erst 1947 gelang. «Das sind meine ersten Erinnerungen - auf dieses Schiff zu kommen und in den Speisesaal und das Essen zu sehen, so viel Essen. In Deutschland hatten wir immer Hunger. Meine Mutter hat in ihrer Verzweiflung sogar Baumrinde gekocht.»

Als die Freiheitsstatue am Horizont erscheint, weinen Penzler, seine Mutter und sein Bruder vor Erleichterung. Heute spüre er keine besondere Verbindung mehr zu Deutschland, sagt Penzler. Auch die Sprache spreche er nicht mehr - «nur 'Wiener Schnitzel' und 'Ich liebe dich'».

Aus der Ferne heraus aber sieht Penzler die Krimi-Begeisterung der Deutschen - mit Millionen-Einschaltquoten für den sonntäglichen «Tatort» etwa und immer wieder zahlreichen Krimi- und Mystery-Büchern auf den Bestsellerlisten. «In Deutschland ist das ein relativ neues Phänomen. Detektivromane können nur in freien Gesellschaften Erfolg haben.

Wenn hier in Amerika ein Verbrechen geschieht, dann rufen wir die Polizei. Aber beispielsweise in Nazi-Deutschland oder der Sowjetunion? Da gehörten Polizisten zu den Menschen, vor denen viele am meisten Angst hatten. Also waren Großbritannien, die USA und teilweise Frankreich im 19. und Teilen des 20. Jahrhunderts die Länder, wo Mystery sich am meisten ausbreiten konnte, weil sie zu den wenigen echten Demokratien gehörten.»

Die Normalität wird wieder hergestellt

Mit dem sonntäglichen «Tatort» bestätigten die Deutschen also quasi jeden Sonntag - zumindest unterbewusst - ihr Vertrauen in die staatlichen Institutionen, sagt Penzler. Zudem befriedigten Mystery und Krimi ein Bedürfnis nach Struktur und Normalität. «Ja, es gibt oft einen Mord. Aber - anders als im echten Leben - wird der Böse so gut wie immer gefunden und bestraft. Die Normalität wird wieder hergestellt - ganz anders als bei Science Fiction, das ist Anarchie.» Krimis seien also eine Art «Märchen für Erwachsene».

Sein New Yorker Buchladen laufe - nach einem Verkaufseinbruch während der Corona-Pandemie - inzwischen wieder sehr gut, sagt Penzler. Immer mal wieder verkaufe er ein teures antiquarisches Stück, wie zuletzt eine Erstausgabe von Edgar Allen Poe für 25.000 Dollar (etwa 23.000 Euro).

Sherlock Holmes zum Einstieg

Anfängern des Genres empfiehlt er die Sherlock-Holmes-Gesamtausgabe, die ihn damals selbst so begeisterte, außerdem Autorinnen und Autoren wie Agatha Christie, Raymond Chandler, Dashiell Hammett und Michael Connelly sowie sein absolutes Lieblingsbuch: Den 1860 erschienenen Roman «Die Frau in Weiß» des britischen Schriftstellers Wilkie Collins. «Das ist einfach ein brillantes Buch, Krimi und Romantik, wunderbare Charaktere.»

Er selbst lese inzwischen fast nur noch Manuskripte für geplante Veröffentlichungen, sagt der 81-Jährige, der mehrfach verheiratet war, keine Kinder hat und den Laden eines Tages seinen Angestellten überlassen will. «Da bin ich ein bisschen langsamer geworden. Ich konnte früher ein Buch pro Tag lesen, aber das kann ich nicht mehr.»

Auch selbst an der Kasse steht der 81-Jährige nur noch selten, aber er kommt immer noch jeden Tag in sein Büro im Keller der Buchhandlung und ist bei jeder Autorenlesung im Laden dabei. «Ich verbringe sehr gerne Zeit mit Autoren. Als Verleger und Buchverkäufer bewundere ich, was Autoren können. Denn ein Buch zu schreiben, sogar ein schlechtes, ist schwer. Es ist sehr schwer.» Das Genre befinde sich derzeit aber in einem «goldenen Zeitalter», sagt der Experte. «Früher ging es bei Mystery hauptsächlich um die Rätsel. Aber heute schreiben die Autoren über ihre Charaktere auf sehr viel glaubhaftere und tiefere literarische Art und Weise.»

Er glaube fest an die Zukunft der Branche, sagt Penzler. Neuerungen wie künstliche Intelligenz bereiteten ihm keine Sorgen. Er wolle einfach so weitermachen wie bisher - so lange es möglich sei. «Warum sollte ich in Rente gehen? Um Golf zu lernen oder in Florida Shuffleboard zu spielen? Ich werde in Rente gehen, wenn sie den Stift aus meiner kalten, toten Hand herausziehen.»

Quelle: dpa

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