TV-Serie:
Stockholm Requiem (Staffel 1)

Serien-Spezial von Jochen König (07.2019) / Titel-Motiv: © edel:motion/Glücksstern

Tage schwärzer als die Nacht

Das ZDF hat seit längerem einen Lauf mit jener grau melierten Krimi-Spielart, genannt „Scandi- oder Nordic-Noir.  Das Feld wird weidlich und ziemlich erfolgreich beackert, mit ganz unterschiedlichen Zugpferden. Gerade erst erprobte sich die pensionswillige Hanna Svensson in Familienzusammenführung und dem nahezu aussichtslosen Kampf gegen Clan-Kriminalität, jetzt begehen Fredrika Bergmann, Alex Recht und Kollege Peder Rydh das „Stockholm Requiem“. Natürlich nicht nur im Fernsehen, sondern seit kurzem auch auf DVD.

Damit es trotz ähnlicher Grundstimmung nicht an Abwechslung mangelt, gibt es gravierende Unterschiede zwischen den Serien. Während „Hanna Svensson“ sich in horizontaler Erzählweise übt und ein folgenübergreifendes Szenario entwickelt, besteht die „Stockholm Requiem“-Staffel aus nahezu solitären Episoden, die jeweils in einer Doppelfolge zusammengefasst werden. Wobei im Verlauf immer wieder auf vorangegangene Ereignisse zurückgegriffen wird.

Der größte Unterschied liegt allerdings darin, dass für „Hanna Svensson“ ein Originaldrehbuch entstand, während „Stock Requiem“ auf der sechsbändigen Fredrika  Bergmann-Saga von Autorin Kristina Ohlsson beruht. Die Reihenfolge der Romane wurde allerdings vertauscht und auf den vierten Band „Himmelschlüssel“ (2012) gleich ganz verzichtet.

Vom Buch…

„Aschenputtel“ wurde 2011, zwei Jahre nach der Originalausgabe, in Deutschland veröffentlicht. Die Folgebände erschienen zunächst in jährlichem Abstand, von Band vier auf fünf waren es zwei, während das Finale „Sündengräber“ drei Jahre auf sich warten ließ und nahezu zeitgleich zur Ausstrahlung der Fernsehserie erschien.

Kristina Ohlssons Debüt beginnt mit einem Alptraum junger Eltern: Die sechsjährige Lilian verschwindet während einer Zugfahrt aus der Obhut ihrer Mutter. Die Zeugenbefragung gestaltet sich schwierig und bringt kaum Erkenntnisse. Für Kommissar Alex Recht und seinen Kollegen Peder Rydh kristallisiert sich bald heraus, dass der getrenntlebende und nicht auffindbare Vater der Entführer sein muss.  Die dem Team um Recht frisch zugeteilte Kriminalermittlerin Fredrika Bergmann verfolgt einen anderen Ansatz, sehr zum Unmut ihrer männlichen Kollegen, die ihre polizeitechnische Befähigung als zivile Hilfskraft von vornherein massiv anzweifeln.

Doch dann setzt eine Flut von Ereignissen ein, die kaum einen Zweifel daran lassen, dass Fredrika den richtigen Riecher hatte. Während sich gegen Lilians Vater an anderer Stelle ein schwerwiegender Verdacht erhärtet.

Allein unter Machos

Der Leser ist den Ermittlern stets einen Schritt voraus, flicht Ohlsson doch Passagen aus Tätersicht, explizit der hörigen, tatbeteiligten Jelena ein. Der Vermisstenfall wird Bergmann, Recht und Rydh vor eine Zerreißprobe stellen. Besonders, da es nicht der einzige bleiben wird und sämtliche Protagonisten auf unterschiedliche Weise mit ihren desaströsen Privatleben zu kämpfen haben.

„Aschenputtel“ überzeugt durch seine clever konstruierte, schlüssig entwickelte und spannende Geschichte. Die Hauptfiguren haben Potenzial, jede auf eigene Weise, wobei Alex Recht am blassesten bleibt. Fredrika Bergmann hinterlässt den stärksten Eindruck als gemobbte weibliche Zivilistin in einem patriarchalisch organisierten Polizeiapparat, die ihren Einsatz in Rechts Truppe möglichst schnell hinter sich bringen möchte und natürlich länger bleiben wird. Ihre Zeichnung als verhaltene, scheinbar verunsicherte und beinahe autistische Person, die aber selbstbewusst ihrer Intuition und den eigenen Schlussfolgerungen vertraut und diese auch autark durchsetzt, ist reizvoll und besitzt Eigenständigkeit.  

Familiäre Affären – zu viele davon

Wie so oft bei skandinavischen Kriminalromanen nimmt das Privatleben der Hauptfiguren breiten Raum ein. Zu viel davon. Denn die Schilderung der verqueren Lebensläufe und Beziehungsgeflechte bremst die Erzählung ein ums andere Mal aus. So ist Fredrika nicht nur eine begnadete Violinistin, deren hoffnungsvolle Karriere durch einen Autounfall ausgebremst wurde, sie lebt auch in einer seltsam offenen Beziehung mit  dem wesentlich älteren Spencer zusammen und sehnt sich nach einem Baby. Peder Rydh hingegen hat zwei Kinder, ist aber frustriert vom aufreibenden Eheleben mit seiner Gattin Ylva, die unter einer schwerwiegenden und lang andauernden postnatalen Depression leidet, weshalb der  Macho Rydh immer wieder im Bett bei Kollegin Pia Nordh landet, was zu gleich zwei unglücklichen Beziehungen führt. Gleichzeitig muss er sich noch ums einen behinderten Bruder Jimmy kümmern, was immerhin zu einigen anrührenden Szenen führt und als Vorbereitung für kommende Ereignisse gilt. Da sehnt sich man sich nach der lapidaren Selbstverständlichkeit, mit der Inspector Barnaby und Ehefrau Joyce agieren.   

Licht und Schatten

Der Roman quillt so auf fast 500 Seiten auf, und schafft trotzdem nur ein überhastetes Finale, das dennoch dramatisch und einem skandinavischen Noir geschuldet, sehr finster ausfällt.

Sprachlich ist das ebenfalls bisweilen sehr verquast und umständlich, wobei nicht ganz klar ist, ob das der Autorin oder der äußerst holprigen deutschen Übersetzung geschuldet ist („als er im Auto zum Stockholmer Hauptbahnhof saß“ und derlei mehr). Macht den Roman stellenweise zu einem unerquicklichen Leseerlebnis. Letztlich überwiegt der positive Eindruck knapp und der Krimi-Couch-Gradmesser pendelt sich bei 70° ein.

… zur Verfilmung

Ohlssons Debüt ist auch die Grundlage für die erste Doppelfolge namens „Aschenputtels Geheimnis“, auf DVD passenderweise ungekürzt als anderthalbstündiger  Film zusammengekoppelt. Wir können uns glücklich schätzen, dass die Geschichte um die vermissten Kinder und einen perfiden Racheplan nicht auf Staffellänge gestreckt wurde. So wurde die Romanvorlage ansprechend entschlackt, das Privatleben der drei Ermittler spielt nur dann eine Rolle, wenn es relevant für die jeweilige Geschichte und Entwicklung des weiteren Verlaufs ist. So spielt Peder Rydhs Beziehung zu Bruder Jimmy eine größere Rolle als sein (vorerst) verkorkstes Eheleben, die Eskapaden mit Kollegin Pia werden arg beiläufig abgehakt, sorgen aber für ein paar wenige komische Momente innerhalb der insgesamt ausgesprochen düsteren Serie.

Die Besetzung stimmt

Alex Recht indes bekommt mehr – und ein etwas anders gelagertes – Profil als in der Romanvorlage. Seine latente, etwas verhuschte und stetig wachsende Verzweiflung vermittelt Darsteller  Jonas Karlsson hervorragend. Spaßeshalber sollte man sich ergänzend seine Darstellung des zwischenzeitlichen Vorgesetzten Kommissar Becks vor Augen führen. Sein Klas Fredén ist ein schleimiger Opportunist schlimmster Sorte und so ziemlich das Gegenteil Alex Rechts. Guter Mann, der Herr Karlsson, zudem er am Drehbuch beteiligt ist!

Nicht nur Karlsson überzeugt, auch die anderen Darsteller agieren durchweg bestechend. Als Peder Rydh begegnen wir mit Alexej Manvelov einem alten Bekannten wieder, der die Seiten des Gesetzes gewechselt hat, verkörperte er doch in „Hanna Svensson“ den widerwärtig durchtriebenen und dennoch charmanten kriminellen Gegenspieler Hannas, Davor Mimica.

Liv Mjönes ist die perfekte Besetzung für Fredrika Bergmann, gelingt es ihr doch Fredrikas Verletzlichkeit und Stärke gleichsam wirken zu lassen, ohne ihre Figur in den schwachen Momenten strapaziös zu diskreditieren oder schlimmer noch, der Lächerlichkeit preiszugeben. Zu Gute kommt der Fernsehfigur zudem, dass die Beziehung zum geliebten Spencer – bis auf wenige, aber einschneidende, Ausnahmen, recht bodenständig in Szene gesetzt wurde.

 Hinzu gesellt sich der stieselige und das Trio oft provozierende Kollege Torbjörn Ross, der eher Missgeschicke sarkastisch und besserwissend kommentiert, als helfend einzugreifen. Und unsere Polizisten machen Fehler, sind labil, manchmal verbohrt und fühlen sich zu den falschen Menschen hingezogen. Ist aber auch kein Wunder, werden Bergmann, Recht, Rydh und ihre frostige Vorgesetzte Eina Gedda mit äußerst widerwärtigen Verbrechen konfrontiert.

Im Kampf für die Hilflosen – nicht immer erfolgreich

Opfer sind oft Kinder, Menschen, die sich zur falschen Zeit am falschen Ort falsch bewegten oder Personen, die allzu leicht unter Druck gesetzt werden können. Wie der Flüchtling Nasim Nadar, der sich sehnlichst wünscht, seine Frau wiederzusehen und in die Fänge einer Hehlerbande und der möglicherweise kriminellen Hilfsorganisation „Aktion Freundschaft" gerät (Folge 2, „Blutspur“). Selbst, wenn man an anderer Stelle („Aschenputtels Geheimnis“, „Paperboy“) Verständnis für die Motivation des Täters aufbringt, gibt es keinerlei Rechtfertigung für die Wahl der vorwiegend unschuldigen und hilflosen Opfer sowie die vollzogene Rache. So enden die Folgen auch nicht mit einem Happy End, geschweige denn, dass die Drahtzieher der Verbrechen unweigerlich verurteilt werden. „Stockholm Requiem“ leistet sich den trauernden Blick auf eine Gesellschaft, in der Moral und Ethik den eigenen Befindlichkeiten skrupellos geopfert werden. Kulminiert in der abschließenden Folge „Auge um Auge“, in der straffrei ausgegangene Täter von einem selbst ernannten Richter und Henker getötet werden.  Das „Stockholm Requiem“ endet mit mehreren Paukenschlägen und bitterbösen Twists, die eine zweite Staffel kaum wahrscheinlich werden lassen. Außer, man würde die Konzeption der Serie ändern. Aber die Romanreihe machte es bereits vor und fand ihren Abschluss mit dem sechsten Band. Insofern ist das filmische Finale folgerichtig.

Bild- und Tongestaltung sind wieder elegant und stimmungsvoll, man fragt sich allerdings bisweilen, wie lange die Vorgaben, die unter anderem „Kommissar Beck“ und Klassenprimus „Die Brücke“ lieferten, noch funktionieren. Blaugraue Tönungen herrschen vor, meist in erlesener Blässe präsentiert, selbst grünstichige Passagen erinnern mehr an tödliche Sümpfe als an blühende Rasenflächen, die musikalische Begleitung pflegt – in diesem Fall passend zum Titel – die Elegie eines ausufernden Requiems. Da muss wohl erst ein Nicolas Winding Refn mit seiner Serie „Too Old To Die Young“ kommen, um zu zeigen, dass es auch anders geht.

Fazit:

Während Ohlssons Romanvorlage an der Grenze zur Geschwätzigkeit laviert (und diese gelegentlich ausführlich übertritt), ist die filmische Umsetzung knackig und kompakt geraten, mitunter hätte man sogar ein paar Minuten mehr an Hintergründen spendieren können. Lediglich der eigentlich äußerst packende Showdown verhaspelt sich zwischendurch mit Liebesleid und Krankheitsgeschichten, während essentielle Kernpunkte en passant in knappen Dialogen abgehandelt werden.

„Stockholm Requiem“ gefällt als von Frauen geprägte und umgesetzte, spannende Variante des Nordic-Noir. Das auf Kristina Ohlssons Romanen aufbauende Konzept stammt von Karin Fahlén, die gemeinsam mit Lisa Ohlin auch die Inszenierung übernahm. Dass mit Fredrika Bergmann im Zentrum eine Frau steht, die sich mit ganz eigenen Mitteln in der von Männern beherrschten Arbeitswelt durchsetzt, wurde bereits erwähnt.

Wohltuend auch, nach zahlreichen Serien mit folgen- und staffelübergreifenden Storylines, dass „Stockholm Requiem“ in nahezu abgeschlossenen Abschnitten erzählt wird, ohne einen übergreifenden Kontext zu vernachlässigen. Eine lohnende Anschaffung, die auch an heißen Sommertagen und lauen -abenden für ein herbstliches Frösteln und nachdenkliche Momente sorgen wird, besitzen die Fälle bedauerlicherweise einen sehr realitätsnahen Tonfall. Für den schnellen Verzehr und Adrenalinjunkies ist „Stockholm Requiem“ eher weniger geeignet.

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Cover und Fotos: © edel:motion/Glücksstern

Weitere Informationen:

Produktionsland: Schweden
Originaltitel: Sthlm Rekviem
Instore: 24.05.2019 (TV-Erstausstrahlung 2018)

Technische Details:

Laufzeit: 5x 90 Minuten auf 3 DVDs
Sprache: Deutsch, Schwedisch
Untertitel: Deutsch
Bildformat: 16:9
Tonformat: DD 5.1 /2.0

Cast & Crew:

Darsteller: Liv Mjönes, Jonas Karlsson, Alexej Manvelov, Magnus Roosmann, Jessica Liedberg
Buchvorlage: Kristina Ohlsson
Regisseure: Karin Fahlén, Lisa Ohlin
Musik: Nathan Larson

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