Verdacht / Mord
(Staffel 1)
Serien-Kritik von Carola Krauße-Reim (10.2021) / Titel-Motiv: © lukaspictures.com
Psychogramm einer Vater-Tochter-Beziehung
Der Kriminalbeamte Bjørn Rasmussen wird routinemäßig in die Gerichtsmedizin gerufen. Er soll den Fall einer mutmaßlichen Selbstmörderin bearbeiten. Geschockt stellt er fest, dass die Tote seine Tochter Christina ist, zu der er schon lange keinen Kontakt mehr hat. Dennoch kann und will Rasmussen nicht an einen Suizid glauben und stürzt sich verzweifelt in die Suche nach dem mutmaßlichen Täter.
8 Verdächtige in 24 Stunden
Wie man es von skandinavischen Thrillern fast schon erwartet, ist auch hier die Grundstimmung düster und melancholisch. Doch Regisseur und Drehbuchautor Christoffer Boe hat ein ungewöhnliches Format für diese Krimiserie gewählt: In den acht, lediglich ca. halbstündigen Episoden baut er eine Art Kammerspiel auf, das kein ausschweifendes Setting hat, sondern lediglich an ebenso vielen unterschiedlichen Handlungsorten mit ebenso vielen Verdächtigen spielt. Vom Beginn in der Gerichtsmedizin an bringen immer neue Indizien Bjørn Rasmussen von einer dubiosen Person zur nächsten. Immer tiefer wühlt er sich in das Leben seiner Tochter und muss mit jedem Verhörten feststellen, dass er sie doch gar nicht mehr kennt. Durch jeden neuen Kontakt erfährt er mehr von Christinas Leben, das alles andere als gewöhnlich war. Seine eigenen Schuldgefühle wollen Christina unbedingt als unschuldiges Opfer sehen, doch was er in den acht Gesprächen erfährt, zeichnet ein ganz anderes Bild.
Viel Psychologie mit wenig Thrill
Wer einen knallharten Thriller mit vielschichtiger Handlung und action-reichen Szenen erwartet, ist hier falsch. Diese Serie ist eindeutig keine Mainstream-Produktion! Der Fokus liegt auf der komplizierten Vater-Tochter-Beziehung von Bjørn und Christina. Warum diese so schwierig und der Kontakt schon lange abgebrochen ist, wird nie explizit genannt und kann nur erahnt werden. Boe reduziert die ganze Handlung auf diesen psychologischen Abgrund, der Rasmussen zwingt, ungewöhnliche Wege zu gehen um sich selbst von der Schuld an Christinas Leben am Abgrund freizusprechen. Dabei bewegt er sich am Rande der Legalität und manchmal auch darüber hinaus – bis er einen Schuldigen für sich ausgemacht hat. Auch diese Betrachtungsweise eines Kriminalfalles ist durchaus spannend und manchmal auch ziemlich brutal, dürfte für manchen Thriller-Fan jedoch zu tief in psychologische Abgründe abtauchen und zu wenig krachende Handlung besitzen.
Fortsetzung folgt
Bjørn Rasmussen findet den vermeintlichen Mörder seiner Tochter und handelt… Das ist das Ende dieser ersten Staffel. Doch eine zweite wird im November 2021 als DVD erscheinen. Die Handlung setzt kurz nach dem Schluss der ersten Staffel ein. Dieses Mal steht Bjørns Ehefrau Susanne (Trine Dyrholm) im Mittelpunkt. Die Hypno-Therapeutin bekommt es unversehens mit einem Auftragskiller zu tun und muss gleichzeitig ihr eigenes Leben nach dem Tod ihrer Tochter in den Griff bekommen. Für Fans der ersten Staffel ein zu erwartender Leckerbissen, denn wieder spielt die korrupte Polizei, die Unterwelt Kopenhagens eine Rolle und auch neue Wahrheiten zu Christinas Tod warten auf Susanne.
Die Schauspieler sind gefordert
Durch das reduzierte Format sind die Schauspieler in ihrem Können gefordert. Hier kann sich keiner zurückziehen und lediglich durch gewagte Aktionen brillieren. Doch Boe hat die Besetzung passend gewählt: Trine Dyrholm („Die Erbschaft“), Søren Malling („Borgen-Gefährliche Seilschaften“), Nikolaj Lie Kaas (diverse Jussi Adler-Olsen Verfilmungen) und Lars Mikkelsen („House of Cards“) sind nur einige der durchweg exzellenten Schauspieler, die neben Ulrich Thomsen („Killing Me Softly“, „Königreich der Himmel“) als Bjørn Rasmussen agieren.
Dieser steht durch seine zentrale Rolle im Fokus des Zuschauers, doch er schafft es diesen zerrissenen Menschen glaubhaft und eindringlich darzustellen. Bjørn Rasmussen ist kein Kriminalbeamter, wie er im Buche steht, sondern korrupt und brutal. Er übertritt mehr als einmal die Grenzen des Gesetzes, kümmert sich weder um seine Vorgesetzten noch um die Meinung anderer. Doch er ist auch ein verzweifelter Vater, der den Tod seines einzigen Kindes verwinden muss. Diese Zerrissenheit vermittelt Thomsen in jeder Szene, mit jeder Geste und mit jeder Mimik. Der Zuschauer leidet mit ihm und ist schockartig abgestoßen von seiner Brutalität und Kaltblütigkeit, die ohne Vorwarnung kommt. „Verdacht/Mord“ überwältigt vor allem durch das Können dieses Schauspielers, jedoch tragen auch die plötzlichen, schockartig eingebauten Gewaltexzesse zur Faszination bei, die nicht nur von Bjørn zu erwarten sind, sondern wie beiläufig von allen Seiten unvermittelt drohen können.
Fazit
„Verdacht/Mord“ ist eine dänische Nordic-Noir-Serie vom Feinsten. Das Psychogramm einer Vater-Tochter-Beziehung verzichtet weitgehend auf knallharte Action und reduziert sich auf ein Kammerspiel, das durch die hervorragenden Schauspieler lebt - tiefschürfend, faszinierend und fesselnd!
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Fotos: © Henrik Ohsten / lukaspictures.com
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