TV-Serie:
Kommissar Wallander (Staffel 2)
Serien-Spezial von Jochen König (05.2021) / Titel-Motiv: © edel:motion/Glücksstern
Die zweite Staffel der Wallander-Serie mit Kenneth Branagh beginnt mit einer Verfilmung des ersten Auftritts von Henning Mankells Stammkommissar - eines der schwächeren Bücher, in denen sich Figur noch in einem frühen Entwicklungsstadium befand und als eine Art nachdenklicher besorgter Bürger mit Dienstmarke agierte. Von kleinbürgerlichen Ressentiments fehlt in der fortlaufenden Branagh-Saga jede Spur - was dazu beiträgt, dass Mörder ohne Gesicht eine der besten Folgen ist. Wallander und sein Team jagen die Mörder eines Bauernpaares. Weil die sterbende Ehefrau dem Polizisten ein vermutetes „Ausländer“ ins Ohr flüsterte, räumt sich Fremdenhass seine Bahn und fordert weitere Opfer - unter anderem Wallander selbst, der einen Neonazi (in Notwehr, zumindest so halb) erschießt, darüber verzweifelt und am Ende seinen Dienst quittiert.
Den er in Folge zwei, Der Mann der lächelte, wie nicht anders zu erwarten wieder aufnimmt. Ein Freund bittet den temporären Ruheständler um Hilfe, die Wallander verweigert. Kurze Zeit später ist der Freund tot und Wallander wird aktiv - mit noch mehr Gewissensbissen als zuvor. Seine Ermittlungen führen zum organisierten Organhandel, bei dem Menschen nur nach dem Wert ihrer Einzelteile beurteilt werden. Gelegenheit genug für Wallander/Branagh, wieder die ein oder andere Träne zu vergießen.
Der dritte und letzte Part der Staffel gehört einem der populärsten Romane Mankells: Die fünfte Frau. Deutlich entschlackt wird die Geschichte einer brutalen Rache gezeigt, die Wallander mal wieder an seine Belastungsgrenzen führt - die in der Branaghschen Interpretation des schwedischen Kommissars überaus häufig strapaziert werden.
Kommissar Wallander ist keine spaßige Angelegenheit, aber das Booklet hat einen guten Gag zu bieten, wird dort doch Kenneth Branagh als „Meister der kleinen Gesten“ bezeichnet. Das Gegenteil ist der Fall: Bei Branagh ist alles riesenhaft, egal ob Shakespeare-Interpretation, Ausflug ins MCU (Thor) oder Tom Clancy-Franchise (Jack Ryan: Shadow Recruit), Branagh kennt sich mit überlebensgroßen Themen aus. Und wenn er Agathas Christies Hercule Poirot spielt (Mord im Orient Express), hat bereits sein Schnurrbart einen eigenen Film verdient. Den er auch bekommt.
Sein Kurt Wallander ist ein Schmerzensmann, der das Leiden der Welt geschultert hat; er kann keine Treppe hinaufsteigen, ohne dass ihm die Augen tränenfeucht werden. Die Beziehung zu seinem Vater (großartig wie üblich: David Warner) ist ein emotionales Auf und Ab, obwohl es so scheint, dass Wallander normalerweise eher durch Abwesenheit glänzt. Aber auf der letzten Strecke des Lebensweges wird noch einmal gelitten, gebangt, geheult. Als der Vater zu Beginn von Die fünfte Frau stirbt, ist Wallander am Boden zerstört - weshalb er auch nicht verstehen kann, wieso der Sohn eines Mordopfers nicht zu dessen Beerdigung gehen will. „Aber er war Ihr Vater! Sie müssen doch etwas fühlen?“, stellt Wallander erschüttert fest. Als wüsste der Polizist nicht ganz genau, dass es Eltern gibt, die ihren Kindern Schlimmeres antun als erbitterte Todfeinde einander. Egal. Hauptsache Gelegenheit, wieder die Tränendrüsen zu aktivieren.
Dieses messianische Gebaren schadet der Serie, weil es überzogen wirkt. Wallander erschießt einen mörderischen Neonazi und quittiert den Dienst? Dies ist dem großen Drama geschuldet, nicht der Nachvollziehbarkeit. Dabei zeigt Kenneth Branagh, wenn er seinen Ermittlungen nachgeht und verhältnismäßig zurückgenommen spielt, dass es auch anders geht. Leider passiert das zu selten.
Neben Branagh verblassen die Nebenfiguren, zu denen immerhin der charismatische Tom Hiddleston gehört, zu Stichwortgebern, die kaum etwas zu tun bekommen. Hiddleston darf lockig-flockig durch die Szenerie laufen und einmal Wallander das Leben retten, als der mit seiner Schusswaffe nicht klarkommt; nicht der Rede wert. Etwas mehr Präsenz bekommen bloß Wallanders Tochter Linda sowie sein Vater und dessen Lebensgefährtin. Selbst seine Vorgesetzte Lisa Holgerson, die in den Wallander-Serien mit Rolf Lassgard und Krister Henriksson wesentlich prägender war, bleibt eine Randerscheinung.
Handwerklich ist das solide in Szene gesetzt: Es gibt etliche stimmungsvolle Bilder aus dem schwedischen Umland und die gelegentliche Action funktioniert passabel. Glücklicherweise hat die Regie in der zweiten Staffel auf die ständigen Unschärfe-Einstellungen an den Bildrändern verzichtet. Es war schon in der ersten Staffel überdeutlich, dass Wallander in einer Welt lebt, die in der Peripherie ausfranst und undurchsichtig wird.
Durch die Konzentration auf die Person Wallander wurden die zugrundeliegenden Romane Henning Mankells konsequenterweise verknappt. Während Die fünfte Frau in der Lassgard-Variante zwei DVDs beanspruchte und fast vier Stunden dauerte, kommt die aktuelle Version mit knapp neunzig Minuten aus. Diese Zusammenfassungen gelingen den Autor*innen respektabel; der Inhalt wird nicht völlig zerfleddert, sondern ziemlich schlüssig erzählt. Die inhaltliche Tiefe sowie Zwischentöne, gerade beim Thema Gewalt gegen Frauen und die daraus resultierenden Racheaktionen (Die fünfte Frau), gehen allerdings weitgehend verloren hinter Kenneth Branaghs waidwunder Omnipräsenz.
So bleibt als Fazit: Wenn man sich mit Kenneth Branaghs Dominanz anfreundet respektive sein manieriertes Schauspiel schätzt und mag, ist Kommissar Wallander eine sehr ansehnliche Serie. Der Rezensent verabschiedet sich mit der zweiten Staffel und bleibt dem unterkühlten Spiel Krister Henrikssons gewogen, der tatsächlich die kleinen Gesten beherrscht und seinen Co-Darstellern ordentlich Raum zum Profilieren gibt. Und auch die brachiale Urgewalt des Rolf Lassgard hat etwas für sich - leidet allerdings (zumindest bei der fünften Frau) unter seinen filmischen Gimmicks (Grobkörnung, erklärungswütige Zwischenschnitte) und dem übermäßigen Gebrauch von Close-Ups. Kenneth Branaghs Schnurrbart hingegen schippert demnächst mit dem Tod auf dem Nil.
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Cover und Fotos: © edel:motion/Glücksstern
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