TV-Serie:
Endeavour - Der junge Inspector Morse
Staffel 5 + 6

Serien-Spezial von Jochen König

1968 und was daraus folgt

Der junge Inspektor „Endeavour“ Morse geht erfolgreich in die fünfte und sechste Runde; Staffel 7 ist bereits abgedreht. Es wird düsterer und komplexer: Beide Seasons werden von mehreren roten Fäden durchzogen, die neben den Fällen der Woche für eine stilistische Erweiterung sorgen.

Die Würfel rollen, fünf ist gesetzt

Zu Beginn der fünften Staffel hat Morse seine Prüfung zum Sergeanten bestanden und bekommt den jungen Constable Fancy zur Ausbildung an die Seite gestellt - was dem Eigenbrötler nicht behagt. Er möchte lieber alleine Fälle lösen oder an der Seite seines Mentors DCI Thursday tätig sein. Doch die Geschichte hat andere Pläne mit ihm.   

Als schwerwiegend könnte sich der Zusammenschluss der Oxford City Police und Thames Valley Constabulary erweisen - steht doch zu befürchten, dass das eingeschworene Team um Morse, Chief Superintendent Bright, Fred Thursday, DS Jim Strange und Gerichtsmediziner DeBryn auseinandergerissen wird. Eine tragende Rolle bekommt auch die emanzipierte und pfiffige Schutzpolizistin (Woman Police Constable) Trewlove, die leider nach dieser Staffel ausscheidet. Doch bis dahin darf sie brillieren.

Die Zeiten verändern sich

Die jeweiligen Ermittlungen umfassen weitläufige gesellschaftspolitische Gebiete: Es geht wieder um Popkultur, aber auch um die tödlichen Folgen sexualisierter Gewalt oder den fatalen Einfluss der Kriegszeit auf das Leben im England der Sechziger. In Folge 4 stirbt ein angesagtes Fotomodell, ausgerechnet an der Militärakademie, an der sich DCI Thursdays Sohn Sam befindet. Quartet ist ein lupenreiner Polit-/Agententhriller und zeigt Morse von erstaunlich kaltblütiger Seite. Zum saisonalen Abschluss muss Endeavour Morse gepaart mit WPC Trewlove undercover an einer Eliteschule ermitteln - wie so oft in britischen (TV)-Filmen wahrlich keine moralische und intellektuelle Bildungsanstalt, sondern ein Hort des Mobbings und wahren Übels. Die fünfte Staffel endet mit einem Cliffhanger, der die Folgezeit nachhaltig prägen wird.

Privat bilden Morse und Strange eine Vernunft-WG, und Morse hat mal wieder Pech mit den Frauen. Seine große, unerfüllte Liebe Joan Thursday ist zurück in Oxford und beim städtischen Jugendamt untergekommen. Damit alles in der Familie bleibt, bändelt Morse (unwissentlich) mit Joans Cousine und später wissentlich mit einer französischen Bekannten an. Fred Thursday hingegen steht kurz vor der (nicht wirklich gewollten) Pensionierung und begeht den Fehler, seinem leichtfertigen Bruder Geld zu leihen. Auch das hat Einfluss auf die sechste Staffel - nicht nur auf Thursdays Arbeitsleben, sondern auch auf seine Ehe, die ins Wanken gerät.

Als handlungsüberspannender Bogen dient der Versuch, den Gangsterboss Eddie Nero dingfest zu machen. Jener steht zusätzlich unter Beschuss eines Rivalen, der ihm sein kriminelles Imperium streitig macht. Morse und seine Kollegen werden in diesen blutigen Zwist zwangsläufig involviert.

Alles fällt auseinander

Staffel 6 beginnt mit einschneidenden Veränderungen: Nicht nur, dass Endeavour Morse sich mit einem feisten Oberlippenbart ziert - die ganze Truppe ist zersplittert.  Trewlove hat es Richtung Scotland Yard verschlagen, Chief Superintendent Bright muss bei der Verkehrspolizei den belächelten, medialen Verkehrserzieher geben, Thursday wurde degradieret und dem ruppigen DCI Ronnie Box zugeteilt, der bereits in der vorigen Staffel einige unrühmliche Auftritte hatte. Morse selbst trägt wieder Uniform und wurde zurück aufs Land geschickt. Sein Kumpel Bright versucht derweil im Hintergrund, das Team wieder zu vereinen. Der ungeklärte Mord aus der vergangenen Abschlussfolge dient als Schmier- und Bindemittel.

Die Einzelfälle wechseln zwischen einer tragischen Familiengeschichte, die erst Morse  mit DeBryn, anschließend auch mit Thursday und Box wiedervereint, verworrenen Swingereskapaden mit Todesfolge, und einem beinahe klassischen Whodunnit, welches im Finale nur eine untergeordnete Rolle spielt, wird hier doch auf grandiose Weise in Westernmanier ein Showdown inszeniert, der alles zurück an seinen richtigen Platz bringt und (etwas überhastet) die durchgehende Mordermittlung aufklärt.  

Abgründe, und wie man ihnen entkommt

An der Schwelle zu den Siebzigern stehen die Zeichen auf Veränderung - nicht unbedingt zum Positiven. Mit DCI Ronnie Box und DS Alan Jago betreten zwei Cops neuen Schlags die Szenerie. Fernab der Ehrencodices, die Morse und seine Kollegen strikt befolgen, sind Box und Jago Marodeure, für die nur der Erfolg zählt, nicht der Weg wie man dorthin gelangt - was möglicherweise Korruption und krumme Geschäfte einschließt. Sie verweisen auf die Zukunft, die das Wesen von Polizeifilmen und -serien mitprägen wird. Während Morse ungebeugt und am Rand der Verzweiflung seinen Weg geht, wankt sein Vorbild Thursday und versucht, sich anzupassen. Das führt zu intimen Momenten, in denen das Ausloten moralischer Grenzen Hauptinhalt ist.

Beide wissen, dass sie längst keine Ritter in glänzender Rüstung mehr sind, sondern Teil eines Systems, dessen hehre Ansprüche zwischen Korruption, Opportunismus und dem unverhohlenen Blick auf finanzielle Einsparungen (dezente Verweise auf den noch ein Jahrzehnt entfernten Thatcherismus) fast vollständig überlagert werden.

Thursday: „Was blutig anfängt, endet oft auch so. Tod und Leid ohne Ende. Und wozu das Ganze? Immer hat der eine etwas, was der andere nicht hat. Unterm Strich gibt’s keine Gewinner. – Ich schätze, alle wollten etwas, was sie nicht haben konnten.“
Morse: „Geht’s nicht jedem so?“

Hoffnungen sterben und der Mann auf dem Mond

Passend dazu werden tagesaktuelle Meldungen einbezogen, wie die Nachrichten über die Ermordung von Martin Luther King und Robert Kennedy, oder später - etwas positiver gestimmt - die Berichterstattung über die Mondlandung. So kommentiert das Weltgeschehen die Machenschaften im kleinen Kosmos Oxford und Umgebung (die in beiden Staffeln eine größere Rolle als zuvor spielt) und ermöglicht gleichzeitig die zeitliche Einordnung der jeweiligen Folgen.

 Das Spektrum der Serie erweitert sich in allen Belangen: Die Straßenkriminalität hält immer mehr Einzug, auch wenn es in der Belle Etage weiterhin mörderisch zugeht. Die Figuren wachsen und verändern sich. Vor allem der zu Beginn stocksteife Bright bekommt immer menschlichere, sympathischere Züge, großartig dargestellt von Anton Lesser. Die schauspielerischen Leistungen sind, bis hin zu Kleinstrollen, von gewohnt hoher Qualität, wobei die exzellente Ausstattung und zeitgemäße Kostümierung hilfreich sind. Handwerklich gibt es in keinem Belang etwas zu meckern: Soundtrack, Inszenierung, Kamera- und Schnittarbeit sind von gehobener Qualität, inklusive kleiner Schmankerl wie dem „Blue Velvet“-Zitat in Zuckerguss, jenem Ausflug in die mörderische Gerüchteküche und Bigotterie - mit dezenter Vorwegnahme der negativen Gepflogenheiten in sozialen Netzwerken (die hier, in der Form von Dorfklatsch, noch überschaubare Reichweite haben und trotzdem Leben zerstören können).

Auf der Britischen Quality Street

Auch die neuen Staffeln von Der junge Inspektor Morse bieten wieder formidable Unterhaltung mit Tiefgang. Der Ton ist melancholischer, ernster geworden, komische Momente sitzen aber wieder punktgenau. Das Zeitkolorit wird charmant und ohne Hang zur eitlen Zurschaustellung präsentiert. Und selbst wenn es in Einzelfällen schwächelt, ist die liebgewonnene Truppe um Endeavour Morse eine Reise ins Oxford der ausgehenden Sechziger wert. Wir sehen uns 1970 wieder; vielleicht ist dann auch Morses Walrossbart Geschichte.

Cover und Fotos: © edel:motion/itv

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