Film:
„Psycho IV – The Beginning“ – 1990

Krimi-Couch Spezial von Marcel Scharrenbroich

„Oh, ich habe schon vorher getötet… und ich muss es jetzt wieder tun.“ - Norman Bates

Dieses Geständnis beichtet Norman (Anthony Perkins… wer sonst?) der Radio-Moderatorin Fran Ambrose (CCH Pounder) in ihrer nächtlichen Talkshow „Talk Of The Town“ und kündigt somit fast beiläufig an, dass er immer noch nicht den Kanal voll hat...

Im Studio wird munter über „Muttermord“ geplaudert und da in diese launige Runde, zu der auch der Psychologe Dr. Leo Richmond (Warren Frost) gehört, Anrufer durchgestellt werden, die Interessantes zum Thema „Matrizid“ beitragen können oder selber betroffen sind, kommt es, dass schon bald ein alter Bekannter an der Strippe hängt… der liebe Norman. Allerdings gibt er sich nicht als Norman Bates zu erkennen, dessen Taten natürlich überregional bekannt sind, sondern gibt sich schlicht als „Ed“ aus. Durchaus passend, wir hier natürlich die Verbindung zum realen US-Serienmörder Edward Theodore „Ed“ Gein hergestellt (1906 – 1984), der auch Pate für den „Psycho“-Roman von Robert Bloch stand, womit sich hier wieder ein Kreis schließt.

Entgegen aller Erwartungen, sitzt Norman bei seinem Anruf nicht im dunklen Kämmerlein, streichelt seine ausgestopften Vögel und grinst bräsig, während er in Mamis Sonntagskleid im Schaukelstuhl hin und her wippt… ganz im Gegenteil! Mr. Bates ist nämlich sesshaft geworden und führt sogar eine Beziehung. Mon dieu… tatsächlich ist er sogar verheiratet und steht während des Telefonats brutzelnd in der Küche, wo er gerade das Abendessen zubereitet. Verrückt… Jedenfalls dürfte es niemanden überraschen, dass „Ed“ eine Menge zum Thema „Muttermord“ beitragen kann und er beginnt dort, wo alles seinen Anfang nahm: in seiner Kindheit.

Episodenhaft werden Stationen aus Normans (Henry Thomas) Kindheit thematisiert und man bekommt Einblicke, wie aus einem augenscheinlich smarten Burschen der Serienkiller wurde, der schon 1960 die Kinozuschauer schreiend aus dem Saal rennen ließ. Und schon die erste Rückblende zeigt, dass der Junge bereits im frühen Alter mit Perücke, Rüschenkleid und Küchenmesser lieber in Mamis Haut schlüpft, anstatt mit einem Mädel, das Norman zu verführen gedenkt, in den Clinch zu gehen (*knick, knack*). Obwohl Mutter zu diesem Zeitpunkt schon mit dem Haus um die Wette gammelt, folgt der kleine Bates-Bengel ihren Befehlen, was dem Zuschauer nur zu deutlich macht, welch verschrobenes Verhältnis er zum weiblichen Geschlecht hat. Und als Radio-Talkerin Ambrose „Ed“ mit geschickten Fragen weitere Details aus seinem Leben entlocken will, folgen die Gründe für sein psychopathisches Verhalten auch auf dem Fuß. Auftritt: Mutter.

Die bildschöne Norma Bates (Olivia Hussey) verlor ihren Mann, als Norman sechs Jahre alt war. Von diesem Zeitpunkt an, zog sie ihren einzigen Sohn alleine groß. Die labile Frau, deren Stimmungsschwankungen exzessive Züge annahmen, schien schwer überfordert mit der Situation und sah in Norman mehr, als „nur“ einen Sohn. So diente der Junge quasi als Ehemann-Ersatz, was seinen ausgeprägten Ödipuskomplex wenigstens schon mal erklären dürfte. Die Pubertät schlug dabei genau im richtigen Moment zu und Norman wusste nicht mehr, wo oben und unten war. Norma provozierte geradezu die Erregung ihres Sohnes, bestrafte ihn dann aber für seine Gefühle. Mehr noch, sie demütigte ihn aufs Äußerste. Anstatt der natürlichen Entwicklung, die jeder Teenager durchmacht, ihren Lauf zu lassen, wurde er für seine Gefühle und Sehnsüchte ausgelacht, angeschrien und verspottet… von der eigenen Mutter! Sie schickte ihn in Unterwäsche vor die Tür, zwang ihn Frauenkleider zu tragen und sperrte ihn in den Wandschrank. Auf der anderen Seite suchte sie dann aber wieder seine Nähe. Und mit „Nähe“ meine ich mehr, als für eine gesunde Mutter/Sohn-Beziehung gut und tragbar wäre.

Je mehr „Ed“ aus seiner bewegten Kindheit preisgibt, desto mehr gehen den Experten im Radio-Sender die Lämpchen an und sie beginnen zu ahnen, wen sie dort am anderen Ende der Leitung haben. Doch was meinte Norman, als er eingangs des Gespräches sagte, dass er ES wieder tun müsste? Und vor allem… WEN meinte er damit?

Hinter verschlossenen Türen IV

Wie man bereits an der Story von „Psycho IV – The Beginning“ heraushören kann, gibt es hier viele Parallelen zur erfolgreichen TV-Serie „Bates Motel“ mit Freddie Highmore und Vera Farmiga. Selbstverständlich nahmen sich die Showrunner einige kreative Freiheiten bei ihrer Geschichte heraus, was aber auch nicht verwunderlich ist… immerhin lief die Serie über fünf Staffeln und diese wollten mit Inhalt gefüllt werden. Dennoch fällt es sehr ins Auge, wie sehr man sich anscheinend an diesem vierten Film orientiert hat. Zumindest, was die Einblicke in Normans Jugendjahre und das gestörte Verhältnis zu seiner Mutter Norma angeht.

„The Beginning“ wurde als TV-Film produziert, geht aber deutlich über das damalige Fernseh-Niveau hinaus. Zudem macht die Produktion ihrem Beinamen alle Ehre und liefert die Hintergrundinformationen, die mittlerweile über 30 Jahre nur angedeutet wurden. Somit ist der Film eine sinnvolle Erweiterung des „Psycho“-Gesamtwerks und hebt sich erneut von allen anderen Ablegern ab, was die Inszenierung angeht. Die Atmosphäre gleicht eher einem Kammerspiel, unterbrochen durch die Kindheitserinnerungen von Norman Bates. Der etwas aufgesetzte Showdown ist dann eine Spur drüber, schließt das „Psycho“-Kapitel aber einigermaßen rund ab. Obwohl ein fünfter Ableger in Planung war, wüsste ich nicht, was dem Thema noch hinzuzufügen wäre… und manchmal sollte man es auch einfach mal gut sein lassen, bevor eine Marke zu Tode geritten wird und die dünne Luft gänzlich raus ist.

Der amerikanische Drehbuchautor, Produzent und Regisseur Mick Garris, der zuvor nur die Sci-Fi-Horror-Komödien-Fortsetzung „Critters 2 – Sie kehren zurück“ drehte, schrieb zuvor das Drehbuch zu „Die Fliege 2“ und machte sich einen Namen mit Drehs von Making-ofs. Darunter auch „Hinter den Kulissen“-Reportagen von John Carpenters „The Thing“ oder dem Werwolf-Horror „The Howling – Das Tier“ von Joe Dante. Mit seiner zweiten Regiearbeit bewies Garris bereits handwerkliches Geschick, was in einigen Szenen sehr gut zum Tragen kommt. So ist der ältere Norman quasi live dabei als sein jüngeres Ich durch das Guckloch in der Wand spioniert und in der Funktion des Erzählers bei seinen rückblickenden Ausführungen auch optisch präsent. Ebenso bei der Beerdigung seines Vaters. Der sechsjährige Norman sitzt bei seiner Mutter, während der erwachsene, gegenwärtige Norman hinter dem Sarg steht. So entsteht eine nahtlose Gesamterzählung, die eine episodenhafte Darstellung gekonnt ausbremst.

Nach seiner „Psycho“-Inszenierung widmete Mick Garris sich vornehmlich des Stoffen von Erfolgsautor Stephen King. Hauptsächlich gehörten hier Mini-Serien wie „The Stand“, „The Shining“, „Desperation“ oder „Bag of Bones“ zu Garris’ Œuvre. Fürs Kino verfilmte er den unveröffentlichten King-Roman „Schlafwandler“, zu dem der Bestseller-Autor selbst das Drehbuch verfasste. Nach gefühlter Ewigkeit auf der „bösen Liste“, wurde der Horror-Schocker aus dem Jahre 1992 im Mai 2018 von seiner Indizierung befreit und steht aktuell vor seiner hochauflösenden Heimkino-Premiere. Neben dem Haupt-Cast, bestehend aus Brian Krause („Charmed – Zauberhafte Hexen“), der bildhübschen Mädchen Amick („Twin Peaks“), Alice Krige („Star Trek: Der erste Kontakt“) und Ron Perlman („Hellboy“), konnte Garris einige bekannte Schwergewichte für Cameos gewinnen, die sonst oft nur hinter der Kamera anzutreffen sind. So sind hier Stephen King höchstpersönlich, Mark Hamill, sowie die Regisseure Clive Barker, Tobe Hooper, Joe Dante und John Landis zu sehen. Letzterer, der sich mit „Blues Brothers“, „American Werewolf“, „Die Glücksritter“, „Der Prinz aus Zamunda“ und den wegweisenden Videos zu Michael Jacksons „Thriller“ und „Black or White“ einen Namen machte, ist als Mitarbeiter der Radio-Station, die Norman zum Plaudern verführt, auch in „Psycho IV – The Beginning“ mit von der Partie… was einen nächsten Kreis in unserer zuvor ungeschlossenen Kreis-Sammlung komplettiert. Werfen wir aber noch einen Blick auf die Hauptakteure. Hier gibt es nämlich viele bekannte Gesichter zu sehen.

Sofort ins Auge springt die bezaubernde Olivia Hussey, die sich als Norma Bates zwar alles andere als bezaubernd präsentiert, jedoch jeden überrascht, der bei Normans Mami an eine verschrumpelte Trockenpflaume dachte, die im Kohlenkeller des Familiensitzes wohnt. Bereits im zarten Teenager-Alter konnte die argentinisch-britische Schauspielerin die begehrte Hauptrolle in Franco Zeffirellis „Romeo und Julia“ ergattern, wofür sie auch prompt mit einem Golden Globe-Award als „Beste Nachwuchsdarstellerin“ ausgezeichnet wurde. Nach dem kanadischen Horror-Thriller „Jessy – Die Treppe in den Tod“ (auch bekannt unter dem Namen „Black Christmas“, welchem nach 2006 demnächst ein erneutes Remake bevorsteht) und dem internationalen Star-Schaulaufen „Tod auf dem Nil“, basierend auf dem gleichnamigen Agatha Christie-Roman, konnte auch Hussey King-Luft schnuppern und war in der zweiteiligen TV-Adaption von „ES“ als Audra Denbrough mit an Bord.

Einem weiteren Jung-Star wird mit Henry Thomas die Ehre zu Teil, der leidenschaftlich und angemessen psychopathisch den jungen Norman Bates verkörpert. Was… Sie kennen Henry Thomas nicht? Aber ganz bestimmt… Thomas gab nämlich 1982 einem schrumpeligen Knöterich aus dem All ein kurzzeitiges Zuhause. Und zwar in der kleinen Steven Spielberg-Produktion „E.T. – Der Außerirdische“. Wie so oft in Hollywood, schaffte es der ehemalige Kinderstar nie in die Liga der A-Darsteller aufzusteigen, war jedoch in namhaften Produktionen wie „Legenden der Leidenschaft“, Scorseses „Gangs of New York“ und dem sehenswerten Episodenfilm „11:14“ involviert. Zuletzt war Henry Thomas in der Horror-Fortsetzung „Ouija: Ursprung des Bösen“ (eigentlich eine Vorgeschichte, aber um Welten gelungener als der direkte Vorgänger von 2014) und der erfolgreichen Netflix-Serie „Spuk in Hill House“ zu sehen, welche - wie die Spielfilme „Bis das Blut gefriert“ und „Das Geisterschloss“ - auf dem gefeierten Roman von Shirley Jackson basiert.

Die 1952 geborene CCH Pounder, hier als Talkerin Fran Ambrose, dürfte auch jedem Film- und Fernsehzuschauer bereits des Öfteren über den Weg gelaufen sein. In ihrer Vita stehen beispielsweise die Produktionen „Die Ehre der Prizzis“, „Out of Rosenheim“, „Benny und Joon“, „Ritter der Dämonen“, John Woos „Face/Off – Im Körper des Feindes“, „End of Days“ mit good old Arnie, Camerons 3D-Spektakel „Avatar“, der brillante „Orphan – Das Waisenkind“ und die aktuelle Monster-Schlacht „Godzilla II: King of the Monsters“. Seit 1981 ist sie zudem gern gesehener Gast in so ziemlich allen geläufigen TV-Serien… angefangen von A wie „Akte X“ bis Z wie „Zurück in die Vergangenheit“.

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Cover und Fotos: © TURBINE Medien
Foto "Alfred Hitchcock": © istock.com/PictureLake

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