TV-Serie:
Hanna Svensson - Blutsbande

Serien-Spezial von Jochen König (04.2019) / Titel-Motiv: © edel:motion/Glücksstern

Bevor man stirbt – wird es finster

Scandi- beziehungsweise Nordic-Noir ist ein mittlerweile angestammter Begriff, der sich als Genrebezeichnung, auch abseits von Literatur, für düstere, gesellschaftskritische Serien aus Skandinavien etabliert hat. Die Verfilmungen der Romane des Autorenpaares Sjöwall/Wahlöö sowie die späteren freien Bearbeitungen um Kommissar Beck und seine Kollegen sind ein erster TV-Markstein, die international erfolgreiche Serie „Die Brücke“, inklusive eines amerikanischen Remakes, dürfte neben den zahlreichen Henning Mankell- und Håkan Nesser-Adaptionen das populärste Erzeugnis sein.

Familie, mehr Fluch als Segen

Farblich überwiegen matt-kalte, vorzugsweise blau-grüne-Schattierungen, musikalisch gibt man sich elegisch wie erlesen und an adäquaten, fähigen Schauspieler*innen scheint es in Skandinavien keinen Mangel zu geben. Das gilt auch für „Hanna Svensson – Blutsbande“. Die Serie reiht sich mit den ersten Einstellungen ins düstere Noir-Geschehen ein. Die Polizistin Hanna Svensson lässt ihren Sohn Christian, der in den Clubs Stockholms mit Drogen dealt, verhaften. Woraufhin dieser für zwei Jahre hinter Gittern verschwindet und nachvollziehbarerweise nicht mehr gut auf seine Mutter zu sprechen ist.

Im Gefängnis freundet sich Christian mit seinem Zellengenossen Stefan an, dem Ziehsohn der kroatischen Familie Mimica, die offiziell erfolgreich in der Gastronomie tätig ist, ihre wahren Geschäfte aber im Geheimen plant und durchführt: Man will die Nummer Eins im Drogenhandel werden und ist auch Waffengeschäften gegenüber nicht abgeneigt. Der geläuterte Christian möchte nach seiner Haftentlassung der Familie Mimica das Handwerk legen und schleust sich als Tellerwäscher in den Familienbetrieb ein. Mit ungeahnten Aufstiegsmöglichkeiten.

Zwischen Bikergangs und Clankriminalität

Gleichzeitig dient er sich dem Polizisten Sven als Informant an, Deckname „Inez“, ohne zu wissen, dass Sven der heimliche Liebhaber seiner Mutter Hanna ist. Das geht nicht lange gut, denn Sven wird entführt. Sein Handy landet durch einen glücklichen(?) Zufall bei Hanna Svensson, die von nun an in direktem Kontakt zu Inez steht und keine Ahnung hat, um wen es sich bei der vermeintlichen Informantin handelt.

Zunächst geraten die verfeindeten Bikerclubs  „Mobsters“ und „Delincuentos“ ins Visier der Polizei. Die scheinen beim Streit um Anteile im Drogengeschäft, die Kampfzone auszuweiten. Doch Hanna wird schnell klar, dass jemand anders die Fäden zieht. Und als die Rettung Svens gründlich schiefläuft, kristalliert sich ein weiteres fatales Detail heraus: In der Ermittlergruppe muss es einen Maulwurf geben, der die Mimicas mit Interna versorgt.

Deshalb bilden Hanna, ihr Kollege Björn und Chefin Tina ein Trio, das ohne Wissen der Kolleg*innen gegen die Mimicas vorgeht, während der Rest der Abteilung sich um die Motorradclubs kümmert. Was zu Abstimmungsproblemen, Konfusion und Misstrauen führt, ehe schließlich eine konzertierte Aktion in Angriff genommen wird und die Hölle losbricht.

There is nothin' safe in this world*

„Hanna Svensson – Blutsbande“, im Original wesentlich treffender „Innan Vi Dör“ („Bevor wir sterben“) betitelt, spielt in einem Kosmos der permanenten Verunsicherung. Das macht viel vom Reiz und der Spannung der schwedischen Serie aus. Beziehungen sind oft zweckgebunden, flüchtig oder davon gefährdet, urplötzlich durch einen Gewaltakt beendet zu werden.  So wird Christian von den Mimicas hofiert und bedroht, in den innersten Kreis gezogen und auf Distanz gehalten – gleichzeitig. In der Darstellung von Ambivalenzen liegt die große Stärke von „Hanna Svensson“. So wird auch die prinzipientreue Hauptfigur mehrfach in ihren Grundfesten erschüttert.  

Kennzeichnend ist ebenso, dass das Verbrechen in der Mitte der Gesellschaft beheimatet ist. Die Familie Mimica ist wohl beleumundet, erzählt wird eine scheinbar archetypische Erfolgsgeschichte bürgerlichen Aufstiegs, den Menschen geschafft haben, die traumatisierte Opfer eines mit ungemeiner Brutalität geführten Bürgerkriegs geworden sind. Dafür liefert die Serie zumindest in einem Nebenstrang Hintergründe und stellt sofort klar: Opferstatus ist keine moralische Kategorie. Denn die verbliebenen Mimicas und ihre Verbündeten sind ein krimineller Clan, der ohne Skrupel über zahlreiche Leichen geht. Dabei keinen Halt vor zufällig Anwesenden, Polizist*innen oder in Ungnade gefallenen Mitgliedern der eigenen Gemeinschaft macht. Lippenbekenntnisse alleweil, wie man es aus sämtlichen Werken kennt, die sich mit mafiösen Strukturen befassen. Nach innigen Freundschaftsbekundungen und dem Bruderkuss folgt unweigerlich der tödliche Schuss. 

Dagegen wirken die gestandenen Rocker seltsam blass. Beide Gangs werden als Spielball der Mimicas inszeniert, die perfider, skrupelloser und mit den besseren Kontakten ausgestattet, operiert. Die Stimme der abwägenden Vernunft ist den ausgefeimten Machenschaften nicht gewachsen und geht zugrunde.  Hier arbeitet das Drehbuch allerdings zu schematisch, denn den kroatischen Infiltratoren wird etwas zu nachgiebig das zu beackernde Feld überlassen.

Diese manipulative Form der Spannungssteigerung wendet die Serie leider öfter an als nötig. Denn für eine fiebrige Atmosphäre der Anspannung, gepaart mit den, nicht nur ethischen, Konflikten in denen die Protagonisten stecken, wird gründlich gesorgt. Hier hätte man an der ein oder anderen Stelle lieber in die Tiefe gehen sollen. Beginnt bei Hanna Svenssons Entscheidung den eigenen Sohn verhaften zu lassen und führt bis zur Familie Mimica, die in ihrer Heimat unglaubliches Leid erfahren hat, dabei um gut die Hälfte aller männlichen Mitglieder dezimiert wurde. Was aber eben nicht dazu führt, die Welt zu einem besseren Platz machen zu wollen, sondern mit Ausflüchten und skrupellosen Methoden Macht zu festigen und die eigene Bereicherung voranzutreiben.

Von allzu billigen Opfergaben auf dem Spannungsaltar…

Stattdessen setzt die Dramaturgie zu gerne auf schale Kniffe wie Christians doppelte Handyausstattung, die ihn beim andauernden Ausplaudern von Betriebsgeheimnissen in die Bredouille bringt. Schlimmer noch sein Techtelmechtel mit Mimica-Tochter Blanka, welches er mit hohem Körpereinsatz in der Küche des Familienrestaurants fortsetzt, nachdem ihn die Patronin Dubravka nachdrücklich und mittels unterschwelliger Gewaltandrohung davor gewarnt hat. „Kinder, nehmt Euch wenigstens ein Zimmer, wenn ihr die Libido schon nicht im Griff habt“, möchte man den beiden zuraunen, aber das klappt nicht. Und da die Gaststätte in keiner Weise eine verkehrsberuhigte Zone ist, stellt sich die Frage kaum, ob die Leibesübungen auf dem Küchenbuffet wohl unbeobachtet bleiben.

Ein weiterer Schwachpunkt ist der Maulwurf in der Ermittlungsabteilung. Dessen Vorhandensein zwar früh bekannt wird, was zu Guerillataktiken des Kerntrios und einigem Ermittlungschaos führt. Der Versuch der Enttarnung wird allerdings erst zum Finale zur Chefsache erklärt, was recht eindeutig auf eine mögliche zweite Staffel hindeutet.

…zu den Stärken des großen Ganzen

Abgehakt, an anderen Stellen macht „Hanna Svensson – Blutsbande“ seine Sache wesentlich besser. Es gibt wirklich überraschende Plot Twists, die sehr konsequent umgesetzt werden. Der ein oder andere Schlenker führt dazu, dass einige Personen ihren moralischen Kompass neu justieren müssen. Denn das Verbrechen ist fest in der Gesellschaft verankert, besitzt zudem eine hohe Durchschlagskraft, da keine skrupulösen Barrieren existieren. So muss die Polizei derbe Rückschläge hinnehmen, und wie es sich für einen düsteren schwedischen Krimi fast schon ziemt, ist ein Fahndungserfolg kein festgeschriebenes Seriengesetz mehr.

Schauspielerisch ist das bis in kleine Nebenrollen fabelhaft besetzt und gespielt. Als nur ein Beispiel mag der charismatische Alexej Manvelov als Davor Mimica dienen, dem es hervorragend gelingt das Zwiegespaltene seiner Figur immer in der Waage zu halten. Einerseits der gewissenlose Gangster, der sich nicht um Menschenleben schert, andererseits der getriebene Homosexuelle, der seine sexuelle Identität vor seiner Familie und den Geschäftspartnern geheim hält und dadurch angreifbar wird. Einer jener sympathischen Soziopathen, der ansatzlos seine Persönlichkeit den jeweiligen Anforderungen anpassen kann. In „Stockholm Requiem“ wird Manvelov die Seiten wechseln.

 Die ausgefeilte Bildgestaltung reagiert mit gepflegtem Understatement auf die teils hektische Betriebsamkeit, schnelle Schnitte werden nur pointiert eingesetzt. Die Action wird zweckgebunden und nicht ausschweifend in Szene gesetzt. Wie kaum anders zu erwarten liefert Niclas Frisk (prägendes Mitglied der Band  Atomic Swing) einen stimmigen Soundtrack ab, der auch ohne die dazugehörigen Bilder funktionieren dürfte.

Fazit:

Wer keine Probleme damit hat, dass es keinen Fall der Woche gibt, sondern sich eine Ermittlung samt Seitensträngen über zehn Folgen von jeweils 50 Minuten hinzieht, der findet bei „Hanna Svensson – Blutsbande“ eine gut gemachte Alternative, wenn „Die Brücke“, „Kommissarin Lund“, „Springflut“, „GSI - Spezial Einheit Göteborg“ und zahlreiche andere Nordic-Noir-Serien durchgeschaut sind. Ein atmosphärisches, dramatisches Stelldichein zwischen familiären Konflikten und Clankriminalität, das die Spannung bis zum bitteren Finale auf einem hohen Level hält. Leider manchmal auf Kosten einiger leicht zu durchschauenden Taschenspielertricks, die das Format eigentlich gar nicht gebraucht hätte. Denn Gestaltung, Musik und vor allem die Besetzung sind Pfunde, mit denen man wuchern kann. Das Drehbuch hätte partiell (Geschichte der Familie Mimica, Bedeutung und Macht der Motorradclubs) mehr in die Tiefe gehen können, anstatt Adrenalinausschüttung auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner produzieren zu wollen. Sehenswert ist „Hanna Svensson – Blutsbande“ aber allemal.

* Billy Idol – „White Wedding“

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Cover und Fotos: © edel:motion/Glücksstern

"Hanna Svensson - Blutsbande" (OT: „Innan Vi Dör“) auf DVD und Blu ray oder in der ZDFmediathek
Idee: Niklas Rockström, Wilhelm Behrman,
Regie: Simon Kaijser, Kristian Petri u.a.
Darsteller: Marie Richardson, Markus Krepper, Alexej Manvelov, Adam Pålsson
Vertrieb: Edel Motion, ZDF Enterprises
Laufzeit: 10x58 Minuten
Sprache: Deutsch, Schwedisch
Untertitel:Deutsch
Bildformat: 16:9
Tonformat: DD 5.1 / DTS-HD MA 5.1
DVD-& BD-VÖ: 22.03.2019
FSK: Ab 16 Jahre

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