TV-Serie:
Die purpurnen Flüsse
Serien-Spezial von Jochen König (02.2019) / Titel-Motiv: © edel:motion/Glücksstern
Vom Buch zum Film zur Serie
„Die purpurnen Flüsse“ war 1997 der zweite Roman des französischen Autors Jean-Christophe Grangé. Das Debüt „Der Flug der Störche“ war bereits kurz nach seiner Veröffentlichung 1994 ein Bestseller, doch der internationale Erfolg des Zweitlings übertraf den Vorgänger um einiges.
Die Mischung aus hartem Polizeiroman, Mystizismus, Geschichts- und Politikkunde, kam gut an. Grangé ist, egal wie man seinen Stilmix bewertet, ein höchst origineller Autor, dem die Verquickung von Krimi, Politthriller und die Einbeziehung phantastischer Elemente, in seinen besten Romanen exzellent gelingt.
Mit den „purpurnen Flüssen“ sind die Blutbahnen gemeint, die eine Doppelrolle spielen. Zum einen werden einige Opfer mächtig zur Ader gelassen, zum anderen geht es um die vermeintliche Reinheit des Blutes und wie man dieser erhalten beziehungsweise künstlich bearbeiten kann. Ausgangspunkt ist der Fund einer übel zugerichteten Leiche in den französischen Alpen nahe der Universitätsstadt Guernon. Der Pariser Kommissar Pierre Niémans soll den Fall untersuchen. Niémans ist eine Art Polizeilegende, mittlerweile aber auf dem absteigenden Ast. Er beginnt seine Nachforschungen an der Elite-Uni der kleinen Stadt und kommt so in Kontakt mit der attraktiven Professorin Fanny Ferreira, mit der es nicht nur eine berufliche Annäherung gibt. Bald tauchen weitere, sorgsam drapierte Mordopfer auf.
Zur gleichen Zeit beschäftigt sich der junge Polizist Karim Abdouf in der Provinz um Sarzac mit einem Fall von Schulvandalismus. Die Akten und Fotos eines Schülers sind verschwunden. Die Spuren führen auf einen Friedhof und in ein Kloster. Und zu tatverdächtigen Neonazis, die sich in diesem Fall als unschuldig erweisen, aber Karim einen Hinweis geben, der ihn bis nach Guernon führt. Ab da hat Niémans einen Partner. Das ungleiche Paar kommt einer weitreichenden Verschwörung auf die Spur, die viel mit der Eugenik, der Vererbungslehre der Nationalsozialisten zu tun hat. Es ist etwas faul an der Elite-Uni von Guernon und bald ist klar, dass die Morde keine üblichen, aus Sadismus und Lust begangenen, Serienmorde darstellen, sondern einem ausgeklügelten Racheplan folgen, der Männer im Visier hat, die Gott spielen wollen. Obwohl Pierre Niémans und Karim Abdouf Verständnis für die Täter haben, bleiben sie Polizisten und agieren dementsprechend. Kein Happy End in Sicht.
Glänzend kalt
Es dauerte gerade drei Jahre, bis die Verfilmung in die Kinos kam und nicht nur in Frankreich zum Publikumsmagneten avancierte. Alleine bei seinem Kinoeinsatz spielte das Werk über 60 Millionen Dollar ein.
Regisseur Matthieu Kassowitz hält sich, dank des Autors Grangé als Drehbuchschreiber, relativ dicht an die zugrunde liegende Erzählung, ohne akribisch am geschriebenen Wort zu kleben. Führt in der zweiten Hälfte allerdings dazu, dass der Film wie eine gehetzte Readers-Digest-Variante des Stoffes wirkt. Die Kombination aus der düsteren Enge es universitären Areals und der weitläufigen, klirrenden alpinen Helligkeit bekommt der Film ausgezeichnet hin. Die Besetzung ist mit Jean Reno als Pierre Niémans und Vincent Cassel als sein Sidekick, der im Film Max Kerkerian heißt, ebenfalls trefflich gelungen. In einer kleinen Nebenrolle gibt sich sein Vater Jean-Pierre Cassel die Ehre. Leider weilt er bei der einzigen gemeinsamen Szene nicht mehr unter den Lebenden.
Schauspielerisch und atmosphärisch trifft die Verfilmung die Vorlage durchaus, inhaltlich bleibt es bei gepflegter Oberflächenspannung, die hauptsächlich dem atemlosen Erzähltempo der zweiten Hälfte geschuldet ist. Trotzdem ein Erfolg des Europäischen Genre-Kinos, zudem mit zahlreichen Preisen überhäuft.
Luc Besson lässt die Mönche springen
Prompt setzte es vier Jahre später unter dem Titel „Die purpurnen Flüsse 2 – Die Engel der Apokalypse“ eine Fortsetzung, die der Roman eigentlich gar nicht hergibt. Jean Reno schlüpft erneut in die Rolle des Pierre Niémans, Vincent Cassel hat sich verabschiedet, stattdessen fungiert Benoît Magimel als flapsigerer Ersatz und erledigt das ganz ordentlich. Bedauerlicherweise ist Jean Christoph Grangé nicht mehr mit dabei. Luc Besson hat das Ruder als Produzent und Drehbuchautor übernommen und frönt seiner Vorliebe für Parcours und Logiklöcher.
„Die purpurnen Flüsse 2 – Die Engel der Apokalypse“ ist handwerklich akzeptables Actionkino, das Grangés düstere Vision in eine Geisterbahn verfrachtet, in der es von nahezu unverwundbaren Kampfmönchen, Laiendarstellern beim letzten Abendmahl und alten Nazis, die wie üblich nach der Weltherrschaft streben, wimmelt. Der Oberfiesling wurde immerhin passend mit Ex-Dracula und Saruman-in-spe Christopher Lee besetzt. Lee begeht und befiehlt diverse Gräueltaten im Schlafwandlermodus.
Am Ende verzichten Besson und sein ausführender Regisseur Olivier Dahan auf einen ausgefeilten Showdown und besinnen sich aufs Alte Testament: Eine kleine Sintflut wird’s schon richten. Das halbgare Werk spülte zwar noch 40 Millionen Dollar in die Portokasse, das Franchise hatte sich aber vorerst erledigt.
Mit Jean Christoph Grangé und Olivier Marchal ins Fernsehen
Bis 2017 Pierre Niémans und die Atmosphäre des Romans fürs Fernsehen adaptiert werden. Jean Christoph Grangé ist als Drehbuchautor für alle vier Folgen wieder mit an Bord. Jean Reno, der an der Seite von Jill „Crossing Jordan“ Hennessy (als Nonne) beim mäßigen „The Cop – Crime Scene Paris“ TV-Luft schnupperte, nicht. Olivier Marchal übernimmt die Rolle. Ein anderer Typus, aber ähnliche Ausrichtung und Ausstrahlung. Der ehemalige Polizist und Regisseur der vorzüglichen Neo-Noirs „36 – Tödliche Rivalen“ („36 Quai des Orfèvres“, 2004) und „MR 73 – Bis dass der Tod dich erlöst“ („MR 73“, 2008) überzeugt als ruppiger, stießeliger Kommissar mit besonderen Befugnissen. Ihm zur Seite die fähige Erika Sainte als attraktive Junior-Partnerin Camille Delaunay. Eigentlich ein stimmiges Team, das nur dadurch ein wenig aus der Bahn geworfen wird, dass Camille in drei von vier Doppelfolgen, die Mamsel in Distress geben muss, die sich allzu leicht überrumpeln und mattsetzen lässt, um von Niémans und Kollegen gerettet zu werden. Ehe sie als nicht ganz jungfräuliche Opfergabe endet.
Die Serie weist dabei ähnliche Stärken und Schwächen wie die erste Kino-Adaption auf. Die Einbeziehung der französischen, belgischen und deutschen Landschaften ins alptraumhafte Geschehen gelingt vorzüglich. Egal, ob es sich um die Küste („Melodie des Todes“) mit schauerlichem Kloster und schmuddeligen Wohnlandschaften, ein Weinanbaugebiet im Elsass („Tag der Asche“), die desolateren Seiten der Textilindustriestadt Roubaix, mit ausgegliedertem, bunkerähnlichem Kinderheim am Rand eines Waldes („Der Kreuzzug der Kinder“) oder das baumreiche lothringisch-deutsche Grenzland handelt („Die letzte Jagd“). Das Lokalkolorit besitzt kinoreifen Charakter, von den jeweiligen Regisseuren stilsicher eingefangen. Im „Tag der Asche“ gelingt dies Julius Berg, der bereits die hervorragende, hochspannende und ausgeklügelte Miniserie „Der Wald“ („La foret“) mit dem richtigen Gespür für durchkomponierte Landschaftsaufnahmen inszeniert hat.
Alles fließt, auch wenn es flach wird
Inhaltlich leiden die Folgen am stellenweise unausgegorenen Handlungsgefüge und, gemessen an den Themen, unterkomplexen Auflösungen. So werden die Protagonisten gerne alleine auf die Pirsch geschickt, damit sie ja in Gefahr geraten, und besonders der als Teufelssekte getarnte Mummenschanz der die „Melodie des Todes“ in eine schwarze Bibel verwandeln möchte, ist eher lächerlich als bedrohlich. Die Serie hat Potenzial, aber auch viel Luft nach oben.
In den ersten beiden Doppelfolgen geht es um eines von Grangés Lieblingsthemen: Die finsteren Seiten der Religionsausübung. In „Die Melodie des Todes“ sterben Menschen, die kurz vor der Entschlüsselung von Notenfolgen stehen, mit deren Hilfe man ein teuflisches Gegenstück zur christlichen Bibel verfassen könnte. Das ist halbwegs spannend, leidet aber unter seiner wenig glaubwürdigen Prämisse. Hätte eine interessante Studie über religiösen Wahn werden können, doch ist über weite Strecken nur oberflächlicher Hokuspokus mit minderbemittelten Satanisten als Übeltätern. Sehenswert, neben Kameraarbeit und begleitendem Soundtrack, ist das Zusammenspiel der Hauptfiguren, dem ruppigen Kommissar Niémans, der hier noch etwas unsicheren Camille und der bodenständigen Ortspolizistin Lubna Azabal, der der übellaunige Niémans ständig in die Quere kommt.
Wenn das die Amish wüssten
„Tage der Asche“ fällt eine Ecke tiefgründiger und plausibler aus, auch wenn Grangé zum Finale wieder nicht ganz ohne Effekthascherei auskommt. Pierre Niémans untersucht die Todesumstände eines hochrangigen Sektenmitglieds. Obwohl der Mann offensichtlich bei Renovierungsarbeiten in einer Kirche von herabfallenden Steinen erschlagen wurde, zieht der findige Kommissar Mord in Betracht. Indizien weisen ebenfalls darauf hin. Weitere Morde innerhalb der Sekte, die sich durch Weinanbau finanziert, geschehen. Camille Delaunay ermittelt parallel zu ihrem Chef und Partner undercover innerhalb der Sekte. Bald stellt sich heraus, dass das Verhältnis der Sektenmitglieder untereinander etwas zu innig ist, was der Nachkommenschaft nicht gut bekommt. Abgesehen davon ist die Gruppe einflussreich und nach außen gut vernetzt, weshalb Camille erneut in die Bredouille gerät. Der Showdown gerät so zu einer Art feurigem Wicker-Woman-Vorspiel.
Religion und Pseudoreligiöses als Hort der sich selbst reproduzierenden Zerstörung, inniger Fanatismus und Abschottung, die zwangsläufig zu Inzucht führt, dieser Themenkomplex spielte bereits im Roman eine Rolle. „Tage der Asche“ weitet das Thema zur Kampfzone aus, ohne allzu sehr in die Tiefe zu gehen. Für einen beklemmenden, teilweise verstörenden Abstieg ins Sektenwesen reicht es aber.
Die Hölle der Kindheit
Mit „Der Kreuzzug der Kinder“ wird das weite Feld des Transzendentalen verlassen. Kindesmissbrauch in einer öffentlichen Einrichtung und schwarze Pädagogik rücken in den Mittelpunkt der Untersuchung unseres dynamischen Duos. Der Fund einer abgetrennten Hand verweist auf eine Mordserie an Beteiligten eines Jahrzehnte zurückliegenden schweren Missbrauchsfalles. Sowie den gegenwärtigen Umtrieben in jenem, wiedereröffneten Waisenhaus, das seinerzeit Zentrum der Untaten und daraus resultierender Selbstmorde war. Pierre und Camille stochern herum, stoßen auf Geheimnisse und Enthüllungen und geben peu a peu mehr von ihrer eigenen Vergangenheit preis. Das händelt „Die purpurnen Flüsse“ sehr geschickt, die Hauptfiguren werden über Verhalten und Handlungsweisen definiert, Biographisches wird nur soweit integriert, dass es die jeweilige Geschichte nicht überlagert. Wohltuend in einer Flut von Thriller, in der die indisponierten Psychen und lädierten Biographien der Protagonisten die austauschbaren Plots wohlweislich in den Hintergrund drängen.
Der Ausgangspunkt der Folge ist einer möglichen Realität recht nahe, das Kinderheim hingegen entstammt samt Mitarbeitern und Bewohnern eher der (Horror)filmgeschichte als existierenden Gegebenheiten. Interessant auch die Entscheidung, die Kinder des Heims als bloße Schemen in Szene zu setzen. So bekommt die Machtposition der Erwachsenen eine noch stärkere und bedrohliche Bedeutung. Die Rebellion der Kinder bleibt ein verzweifelter Wunsch. Am Ende sind die Täter ehemalige Opfer, die Opfer ehemalige Täter. Die Welt ist aus den Fugen geraten. Niémans, Delauney und eine Handvoll Unterstützer*innen können bestenfalls ein wenig Kitt draufschmieren.
Auf tödlicher Pirsch mit Frau Waldstätten
Obwohl „Die letzte Jagd“ heftig mit dem Absurden flirtet, bietet die Folge den passenden klaustrophobischen Abschluss der ersten Staffel. Und das, obwohl viele Szenen unter freiem Himmel spielen. So lange der nicht von Geäst verborgen ist. Im Zentrum stehen verblendeter Elitarismus (der fast unweigerlich zu Faschismus führt) und das Familiengefüge als Horte des Grauens. Daraus ergeben sich Jagdszenen im deutsch-französischen Grenzgebiet. Diesmal darf Camille den starken, raumgreifenden Part geben, während Pierre sich tiefer in das mörderische Geflecht der Familie von Geyersberg begibt, als ihm lieb sein kann. Das bekommt der Serie gut, denn beide Figuren gewinnen an Profil. Die leider üblichen Unglaubwürdigkeiten lassen wir außen vor, sie beschädigen das beinahe surreale Endkonstrukt kaum.
Da Teile der Folge in Baden-Württemberg spielen, bekommt das französische Duo Unterstützung von einem gut aufgelegten Ken Duken, während Nora Waldstätten die unter der kühlen Oberfläche brodelnde Femme Fatale gibt. Es zeugt vom Können der Beteiligten, dass die Geschichte um eine pervertierte Form der Jagd nicht in desaströser Albernheit endet, sondern als nachtschattige Krimiunterhaltung taugt.
Fortsetzung folgt?
„Die purpurnen Flüsse“ gehen in Serie und wissen trotz unübersehbarer Schwächen zu gefallen. Überzeugende Hauptdarsteller, faszinierend ins Bild gesetzte Settings und eine stimmige Soundgestaltung lassen über manche inhaltlich seichte Flusskrümmung hinwegsehen. Die Serie wächst nach schwächelndem Start im Verlauf und hält das Interesse an einer möglichen zweiten Staffel wach. Wenn dort die Stärken potenziert und die Mängel getilgt werden, könnte es ein bleibendes Vergnügen werden
Cover und Fotos: © edel:motion/Glücksstern
„Die purpurnen Flüsse“ - Blu-ray-Version:
2 Disks mit vier Doppelfolgen
Produktion: Belgien, Deutschland, Frankreich, 2017
Darsteller: Olivier Marchal, Erika Sainte, Nora Waldstätten, Ken Duken u.a.
Regie: Ivan Fegyveres, Olivier Barma, Julius Berg
Bildformat: 1920x1080i (1.78:1)
Sprache: Deutsch (Dolby Digital 5.1), Französisch (Dolby Digital 5.1)
Erscheinungstermin: 23.11.2018
Laufzeit: ca. 381 Minuten
FSK Freigabe: 12 Jahre
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