Kino:
Das Krumme Haus
Film-Kritik von Jochen König (12.2018)
Ein alter Kinderreim zur Einstimmung:
»There was a crooked man, and he walked a crooked mile.
He found a crooked sixpence against a crooked stile.
He bought a crooked cat, which caught a crooked mouse,
And they all lived together in a little crooked house.«
»Das krumme Haus« (»The Crooked House«) ist keins von Agatha Christies populärsten Büchern, doch die Autorin hielt den 1949 erschienen Roman für einen ihrer »ganz besonderen Favoriten«. Und sie hat Recht mit der Einschätzung, dass es einer ihren besten Werke sei.
Keine Miss Marple, kein Hercule Poirot, stattdessen ermitteln Chief Inspector Taverner und der junge Ich-Erzähler Charlie Hayward im Roman gemeinsam. Das heißt, Taverner stellt Fragen, während Hayward zunächst als Beobachter im krummen Haus zugegen ist. Im Film rückt Taverner ein wenig in den Hintergrund, Privatdetektiv Charlie untersucht den mysteriösen Tod des reichen und alten Magnaten Aristide Leonides zunächst alleine, bevor sich Scotland Yard aktiv einschaltet.
Der König ist tot, es lebe die Königin
Ein kleiner krummer Mann stirbt in einem großen krummen Haus. Seine Enkelin Sophie hegt den Verdacht, dass ihr Großvater einem Mord zum Opfer gefallen sein könnte. Sophie verbindet eine kurze und innige Beziehung mit Charlie Hayward, der gerade den diplomatischen Dienst in Kairo quittiert hat und mehr schlecht als recht versucht, sich als Privatdetektiv zu etablieren. Chief Inspector Taverner hätte zwar gerne, dass Charlie in die Fußstapfen seines ermordeten Vaters bei Scotland Yard tritt, doch Charlie möchte lieber autark bleiben. Aus finanziellen und Publicity-Erwägungen nimmt der Detektiv den Auftrag widerstrebend an und begibt sich in ein Haifischbecken.
Denn die gesamte Familie Aristide ist in dem verwinkelten Herrschaftshaus versammelt, immer noch verbunden unter dem Joch eines manipulativen und dominanten Patriarchs. Sohn Charles, der Vater von Sophie, ist Historiker und möchte mit seiner Frau Magda, einer scharfzüngigen Provinz-Diva, sein selbst verfasstes Drehbuch verfilmen. Natürlich mit Papas Geld. Das benötigt auch Sohn Roger, der sich durch die stümperhafte Führung des ehemals elterlichen Catering-Services finanziell übernommen hat. Seine ebenfalls eloquente Gattin Clemency setzt alles daran, dem einengenden Anwesen schnellstmöglich den Rücken kehren. Angefeindet zwischen den Stühlen sitzt Brenda Leonides, die junge Witwe, die eine Zeitlang als Alleinerbin gilt und mit dem Hauslehrer verbandelt ist.
Edith de Havilland, die Schwester von Aristide Leonides erster, früh verstorbener Frau, stellt so etwas wie den Ruhepol und das moralische Korrektiv der giftigen Gemeinschaft dar. Zuguterletzt finden sich unter den Bewohnern noch Sophies Geschwister, der pubertierende und an den Folgen einer Kinderlähmung leidende Eustace, seine vorwitzige, altkluge und in Kriminalromanen bewanderte kleine Schwester Josephine sowie deren Nanny.
Niemand ist unschuldig
So findet Charlie Hayward mehr als genug Verdächtige im Herrenhaus, selbst Sophie bleibt nicht unverschont. Ebenso sind Täter von außen möglich, denn Aristide Leonidas war, wie kaum anders zu erwarten, in halbseidene Geschäfte und politische Ränke verwickelt. Charlie hat also alle Hände voll zu tun. Er beobachtet, wartet ab, lässt seine Gegenüber agieren, merkt nicht, dass er selbst zum Spielball wird und muss sich am Ende einer bitteren Erkenntnis stellen.
Der finale Twist, den sowohl Buch wie Film aufbieten, hat es in sich und gehört zu den seltenen Ausnahmen, die sowohl überraschend wie schlüssig daherkommen.
»Das krumme Haus«: Sieg durch K.O. Der Schnurrbart verliert, das bessere Ensemble gewinnt
Nicht nur gemessen an Kenneth Branaghs überdimensionalem Schnurrbart und seiner eitlen Selbstbeweihräucherung ist »Das krumme Haus« dem starbesetzten »Mord im Orient-Express« weit überlegen. Mehr noch, ein sicherer Anwärter im Top-Ranking aller Agatha Christie-Verfilmungen. Ein angenehm altmodischer Film, der sich auf sein dekoratives, zeitgemäß stimmiges Setting, ausgefeilte Bilder und einen hervorragend aufspielenden Cast verlässt. Es gibt keine hektischen Schnitte, keine Jump Scares und keine überbordende Action, sondern geschliffene Dialoge, eine genau auskundschaftende Kamera und viel subtilen Thrill, der bereits durch die perfekt interagierenden Darsteller erzeugt wird.
Gilian Anderson, kaum zu erkennen unter ihrer schwarzhaarigen Kleopatra-Frisur, hat als Provinztheater-Größe ein paar der besten Pointen auf ihrer Seite, knapp vor Amanda Abbington (Sherlocks Mary Watson), als Clemency Leonides. Die berückende Christina Hendricks brilliert, dezent gegen den Strich besetzt, als Mischung aus naiver Unschuld und lasziver Verführerin. Eine Freude auch den großen Mimen Julian Sands (Philip Leonides) und Terence Stamp (Chief Inspector Taverner) wieder zu begegnen, die beide erstaunlich zurückhaltend und dadurch umso effektiver agieren.
Stefanie Martini (Sophie Leonides) und Max Irons als Charlie Hayward treiben als Katalysatoren die Handlung voran und wären als Paar in Filmen der Schwarzen Serie zu Stars geworden. Sie bewegen sich passgenau durchs 50er-Jahre Ambiente.
Die Entdeckung des Films ist Honor Kneafsey als Josephine Leonides, die viel über Kriminalfälle weiß und noch mehr verschweigt. Sie weist Charlie in seine Grenzen: »Du bist Watson und ICH Holmes«, und schließt folgerichtig, ganz Kennerin der Materie, dass es nicht bei einem Mord bleiben wird.
Und dann ist da noch Glenn Close als Grande Dame Edith De Havilland. Ihr zuzusehen, lavierend zwischen süffisantem Witz, klaren Meinungsäußerungen und tiefer Betroffenheit ist das Eintrittsgeld wert. Aber letztlich ist »Das krumme Haus« ein Ensemble-Film. Dieser Besetzung könnte man auch bei der Verfilmung des Telefonbuchs von Dinslaken mit Wonne zusehen.
Stil und Substanz
Regisseur und Drehbuchschreiber Gilles Paquet-Brenner samt Co-Autoren Julian Fellowes und Tim Rose Price haben Christies Roman fokussiert gestrafft, ohne ihn inhaltlich zu verfälschen. Statt 1947 wurde die Handlung zehn Jahre in die Zukunft versetzt. So konnte der Rock’n'Roll Einzug halten und für einige reizvolle Momente sorgen, während die diplomatischen Verwicklungen des Kalten Krieges die Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs langsam verdrängten. Das alles wurde mit Bedacht und mit gutem Auge für historische Begleitumstände, bis hin zur stilvollen und -reichen Ausstattung, verfasst und in Szene gesetzt.
Die Spannung ist nicht am Überkochen, der Film besitzt aber eine äußerst reizvolle und anziehende Atmosphäre, sprüht vor funkelndem Witz und wird zum Ende hin dann doch dramatisch und ergreifend. Eine intelligente Mischung aus Whodunnit, entlarvendem Gesellschaftsportrait und angeschwärztem Detektivfilm, der gekonnt an Meisterwerke der 40er und 50er anschließt. Leider könnte genau das ein Problem an der Kinokasse sein, denn ob sich genügend Zuschauer finden, die abseits vom schwartenkrachenden Blockbustergedöns, ein Faible für hinreißendes Schauspielerkino und eine bedächtig voranschreitende Handlung besitzen, wäre wünschenswert, ist aber fraglich. Spätestens bei der Heimauswertung sollte »Das krumme Haus« aber den Erfolg haben, den es verdient.
»Das krumme Haus« war das pure Vergnügen (Agatha Christie)
Passend zur Verfilmung erlebtet Agatha Christies Roman eine Wiederveröffentlichung als Taschenbuch und E-Book, neu übersetzt vom verlässlichen Gespann Giovanni und Ditte Bandini. Obiges Zitat mit dem »ganz besonderen Favoriten« stammt aus dem von Christie zur Erstpublikation verfassten Vorwort. Die Lektüre vor, zu oder nach dem Film lohnt sich. Bereits der Anfang, in dem Charles Hayward Sophie Leonides einen höchst ungewöhnlichen Heiratsantrag macht, ist höchst staunenswert. Das scheint antiquiert, doch sollte man sich nicht täuschen lassen. Der Roman handelt zwar vom Tod eines mächtigen Mannes, doch seine treibenden Kräfte sind allesamt weiblich. Auch in Handlungsführung und Dialogen ist »Das krumme Haus« gekonnt. Also gibt es mindestens zwei gute Gelegenheiten sein Weihnachtsgeld bei Christies zu lassen.
Cover und Fotos: © Twentieth Century Fox
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