TV-Serie:
19-2
Serien-Spezial von Jochen König (07.2019) / Titel-Motiv: © Koch Media
Keine Parade-Cops, faszinierend in Szene gesetzt
Die kanadische Serie „19-2“ läuft ohne großartig beworben zu werden bei Amazon Video und hätte durchaus eine exponiertere Stellung verdient. In einer Flut von Krimiserien sind solche, die sich uniformierten Beamten und dem Streifendienst widmen, eher die Ausnahme. Gut, in Deutschland, wo Uniformen anscheinend einen besonderen Reiz ausüben, wurde schon Anfang der Sechziger die „Funkstreife Isar 12“ zur Bekämpfung der (Klein)kriminalität auf Patrouille geschickt. Und auch nur hierzulande dürfte sich ein Fabrikat tristen Biedersinns wie das „Großstadtrevier“ über drei Jahrzehnte im Programm halten. Eine Serie, bei der schon mit dem schunkelwütigen Titelsong der Hamburger Band Truck Stop klar ist, wohin die Reise geht: „Wenn der Schutzmann [manchmal auch im Kiez-Slang „Udel“] ums Eck kommt, nimmt der Ede reißaus, weil der Ede den Schutzmann nicht mag. Jeder fischt gern im trüben und der Schutzmann treibts ihm aus, rund um die Uhr, Tag für Tag.“ Zwischen Nierentisch und Eckkneipe sorgen die Polizeibeamten des Großstadtreviers dafür, dass der Biedermann nicht Opfer der Brandstifter wird.
Captain Kirk wechselt die Uniform
In den USA war zwischen 1968 -1975 der Streifenwagen „Adam-12“ unterwegs, eine Schöpfung des „Dragnet“ und „77 Sunset Strip“-Machers Jack Webb. Von 1982 – 1986 führte Star Trek-Captain James T. Kirk aka William Shatner diverse Toupets als beflissener „T.J. Hooker“ in 91 Folgen durch Los Angeles spazieren. Die klischeebehaftete Serie war auch in Deutschland gern gesehen, während „Adam-12“ im Schatten seiner Vorgänger blieb. Die „Police Academy“-Reihe trieb in sieben Filmen, einer kurzlebigen TV-Adaption und einer Zeichentrickserie mit zwei Staffeln wilde Späßchen mit den Cops in Uniform. Sechs der zwischen 1984 und 1994 entstandenen Filme schafften es in Kino, der siebte wurde nur noch fürs Heimkino vermarktet. Boten die ersten beiden Academy-Teile noch naiv-überdrehte Slapstick-Komik, verflachten die Folgewerke zu peinlichen Flachwitz-Shows.
Kanadischer Noir in Uniform
Das wird in Kanada nicht passieren. „Rookie Blue“ (sechs Staffeln von 2010 – 2015) warf bereits einen wesentlich ernsthafteren Blick auf Polizeiausbildung und -arbeit. „19-2“ lässt ersteres beiläufig mit einfließen und wird bei zweitem im Tonfall ein gehöriges Stück finsterer. Zu pulsierendem Großstadt-Jazz werden Schlaglichter auf die Schattenseiten der vorgeblich pittoresken kanadischen Metropole Montreal gerichtet. Das neunzehnte Revier ist ein sozialer Brennpunkt im Umbruch. In einer ganzen Reihe von Folgen müssen die Beamten Häuserräumungen überwachen, bei denen alteingesessene Mieter – mit wenig Geld – einer Zwangssanierung weichen müssen. Eine nachfolgende Umstrukturierung der Bevölkerung ist unausweichlich. Auch wenn etliche Polizisten das Vorgehen hinterfragen und moralisch verurteilen, stehen sie als willfährige Angestellte im Dienst der Kommune. Und müssen dennoch wenig später in Kauf nehmen, dass ihnen Bezüge und Rente gekürzt werden. Trotz einer aktiven Gewerkschaft, die aber außer fragwürdigen symbolischen Handlungen kaum wirkfähig ist.
Jeder ist fehlbar
Es ist keine freundliche Umgebung, in der sich die Polizeibeamten des neunzehnten Reviers bewegen. Von kleinen Vergehen, über Straßenraub, Drogenhandel und -missbrauch, Häuslicher Gewalt – sogar in den eigenen Reihen – bis zu Schwerverbrechen und dem Ausbreiten der Organisierten Kriminalität, bleibt wenig aus, was den Alltag erträglich machen könnte.
Und auch in den eigenen Reihen herrscht wenig eitel Sonnenschein. Ein Maulwurf unterwandert die Abteilung, was sich nicht nur auf die Statistik auswirkt, sondern auch Menschenleben kostet. Zeitweise bespitzelt Hauptfigur Ben Chartier seinen Partner Nick Barron im Auftrag der Internen Abteilung. Es zeichnet die Serie aus, dass ihr der Brückenschlag gelingt, die wechselhafte Freundschaft der beiden Protagonisten daran nicht zerbrechen zu lassen.
Die Besetzung steht im Mittelpunkt
Des Weiteren setzt sich die Einheit zusammen aus dem jovialen Tyler Joseph, der die gesamte Serie hindurch mit seiner Alkoholsucht kämpft, der verlässlichen Beatrice Hamelin, die zum Sergeant aufsteigt – und zwischenzeitlich degradiert wird -, dem Gewerkschaftsvertreter J.M. Brouillard, ein Macho sondergleichen, der daheim seine Frau massivst misshandelt und deswegen vor allem mit Nick Barron aneinandergerät sowie der attraktiven Audrey Pouliot, die bestrebt ist, eine gute Polizistin zu sein. Was ihr äußerst schwer gemacht wird. In der ersten Staffel wird sie beinahe zu Tode geprügelt, später avanciert sie aufgrund einiger, menschlich nachvollziehbarer, Fehlreaktionen zum stadtweiten Symbol der hassenswerten Polizeigewalt. Ab der zweiten Staffel gesellt sich der nassforsche Rookie Richard Dulac zur Einheit, der Sohn eines hohen Polizeioffiziers. Geleitet wird die Dienststelle von den Sergeanten Julien Houle und Juan Suarez sowie zwischenzeitlich Beatrice Hamelin, allesamt Vertrauenspersonen. Mit Untiefen. An der Spitze des neunzehten Reviers steht der opportunistische Karrierist Commander Gendreau, der seinen Mitarbeitern gerne in den Rücken fällt.
Zum Hauptcast gehören zudem noch Nicks Ex-Frau Isabelle Latendresse , die zunächst als Lieutenant vor Ort arbeitet, bevor sie weitgehend (leider) aus dem Revier und der Serie verschwindet. Ein Schicksal, das auch Nicks Sohn Theo teilt. Nicks weltoffene Halbschwester Amelie geht eine Beziehung mit seinem Partner Ben ein, was für ein paar der wenigen komischen Momente der Serie sorgt. Und einen der tragischsten.
Eine Prise Wambaugh für den guten Geschmack
Ein wenig erinnern die Figuren an Joseph Wambaughs „Chorknaben“, es gibt Korruption, Anflüge von Selbstjustiz, die in Katastrophen enden, wenn nicht vorher Vernunft und Berufskodex gegensteuern, Besäufnisse, Chaos und Gewalt, dazwischen gelegentliche Momente von Ruhe und Schönheit. Der sarkastische Humor Wambaughs geht der Serie ab, die Inszenierung von Augenblicken des Wahnsinns und der Absurdität des Lebens gelingt allerdings ziemlich gut.
„19-2“ startet mit der Versetzung des Kleinstadtcops Ben „Bambi“ Chartier nach Montreal. Chartier wird nicht als tumbes Landei eingeführt, sondern als selbstbewusster, prinzipientreuer Cop, der an der Seite des erfahrenen Nick Barron landet. Barrons voriger Partner wurde von einem Einbrecher ins Koma geschossen, Nick entkam unverletzt und kümmert sich schuldbewusst in seiner Freizeit um seinen pflegebedürftigen Ex-Kollegen. Dabei gerät er ins Visier der internen Abteilung, die auf der Suche nach einem Maulwurf sind, der groß angelegte Razzien auffliegen und Asservate verschwinden lässt. Die altbekannte Frage „Wer überwacht die Wächter?“ rückt Chartier in den Mittelpunkt eines perfiden Ränkespiels. Das kostet ihn fast seine Freundschaft zu Nick und unterminiert die Prinzipien des Mannes, der seinen Vater wegen Fahrerflucht nach einem alkoholbedingten Unfall verhaftete.
Neben der alltäglichen, oft frustrierenden Polizeiarbeit stehen die internen Beziehungen, Abhängigkeiten und Probleme der Polizist*innen im Mittelpunkt der Serie. Dabei gelingt die Gratwanderung zwischen Gesellschaftskritik, Action und emotionalen Schleuderkursen ausgesprochen gut, vor allem, da das Erzählen auf visueller Ebene höchst effizient, mit kraftvollen, interpretationsreichen Bildern geschieht.
„Amokschütze“ – die Stärken auf den Punkt gebracht
Exemplarisch zu sehen an der herausragenden Folge „Amokschütze“, die fast zur Gänze den Amoklauf eines Jugendlichen an einer Highschool behandelt. Dabei stehen Orientierungslosigkeit und Versagensängste der Beamten im Mittelpunkt. Das Grauen des gesamten Szenerios wird durch die nüchterne, fast dokumentarische Betrachtungsweise geradezu potenziert. Das Ende des Amoklaufs wird dementsprechend nicht als gloriose Heldentat abgefeiert, sondern als Mischung aus Professionalität und Verzweiflung. Ein Abschluss, der nur Opfer fordert. Gleichzeitig führt die Folge wortlos den irrsinnigen Vorschlag waffengeiler Politiker ad absurdum, eine erweiterte Bewaffnung von Lehrkräften und Sicherheitspersonal an Schulen als Präventivmaßnahme in Betracht zu ziehen. Das würde in solch einer chaotischen Situation zu noch mehr Chaos und weiteren Todesopfern führen.
Kleine Schwächen in einer sehenswerten Serie
Gelegentlich badet „19-2“ etwas zu sehr in der erlesen bebilderten und zäh lähmenden Verzweiflung, hangelt sich von Desaster zu Desaster, um sich kurz darauf wieder zu fangen und mit fiebriger Spannung weiter zu laufen. Doch selbst kriselnde Episoden werden aufgefangen durch die kraftvollen, überzeugenden Schauspiel-Leistungen und die stimmige Inszenierung.
Äußerst positiv fällt zudem der offene Umgang mit Homosexualität sehr positiv auf. Während die kritische Auseinandersetzung mit häuslicher (männlicher) Gewalt eine wichtige Rolle spielt, findet eine Diskriminierung der Homosexualität im neunzehnten Revier nicht statt. Jeder darf nach seinem Gusto leben und lieben, so lange es gleichberechtigt zugeht und die Grenzen zu den Kriminellen, die man im Visier hat, sich nicht völlig auflösen. Dass sie Verschwimmen steht auf einem anderen Blatt, das eng beschrieben ist.
Nach vier Staffeln und 38 Folgen war 2017 Schluss mit der empfehlenswerten Serie. Im Gegensatz zu anderen Produktionen gelingt „19-2“ aber ein würdiger, stimmungsvoller Abschluss.
Die Produktionsgeschichte im Visier
Das hierzulande ausgestrahlte „19-2“ ist die englischsprachige Variante des französischen Originals aus den Jahren 2011-14 (drei Staffeln mit insgesamt 30 Folgen) mit dem gleichen Titel, ebenfalls in Kanada produziert. Sämtliche Rollen wurden neu besetzt, lediglich Benz Antoine spielt in beiden Versionen den alkoholkranken Tyler Joseph. Von der amerikanischen CBS-Adaption „H-Town“ existieren zwar Infos und Bilder, aber über die Fertigstellung und mögliche Ausstrahlung ist nichts bekannt.
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Cover und Fotos: © Koch Media
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