Jo Nesbø wurde am 23. März 1960 geboren. Seine Eltern, Lehrer und Bibliothekarin, legen ihm schon früh in die Wiege, was erst Leidenschaft und später die große Karriere wird: die Literatur. Sein Vater, der regelmäßig nachmittags im Wohnzimmer las, erzählte dem jungen Jo viele und lange Geschichten, der Funke sprang über. Nesbø beindruckte schon damals im Alter von sieben Jahren seine Altersgenossen mit seinen Geistergeschichten.1
Doch sein Traum war nicht, Literat zu werden. Sein Herz schlug an der White Hart Lane, der Heimat des englischen Fußballvereins Tottenham Hotspurs. Jo Nesbø wollte Profi-Fußballer werden und tatsächlich sah es gut für ihn aus, er spielte als Jugendlicher bereits in der ersten norwegischen Liga für Molde. Ein Kreuzbandriss beendete seine Laufbahn jäh.
Nesbø musste umdenken, meldete sich beim Militär im hohen Norden Norwegens und lernte dort etwas, was er später sehr zu schätzen wusste: Disziplin. So gelang ihm der Schulabschluss mit erstklassigen Noten, obwohl er bis dato kein sonderliches Faible fürs Pauken zeigte. Er schrieb sich an der Norwegischen Handelshochschule in Bergen ein und entdeckte für sich ein anderes: Musik.
Zuerst war er Gittarist der Industrial-Rock-Band "De Tusen", obwohl er nur drei Akkorde beherrschte. Die Gruppe war so schlecht, dass ihr reihenweise die Sänger absprangen.2 Eine neue Chance für Nesbø, der sich auch als Songtexter erste Meriten erwarb. Nach der Uni dann der musikalische Durchbruch: Mit der neuen Band "Di Derre" eroberte er die norwegischen Charts, hatte ausverkaufte Konzerte, tourte durchs Land.
Zeitgleich arbeitete er als Aktienhändler, verkaufte Optionsscheine und Futures. Doch dieses konträre Leben, Pop-Star auf der einen, Banker auf der anderen Seite, war nichts für ihn. Nesbø schmiss beides und machte sich auf zu einer Auszeit nach Australien. Zurück kam er mit einem Krimi, den er schrieb, weil ihn der dreißig stündige Flug so langweilte: Flaggermusmannen (dt. Der Fledermausmann). Der Auftakt zur Serie um Harry Hole, Kriminalkommissar aus Oslo mit einer sehr dunklen Weltsicht, ein Einzelgänger mit heftigem Alkoholproblem.
"Ich erinnere mich daran, wie ich darüber nachdachte, ob ich aus Harry einen dieser Helden machen wollte, der ein wenig anders war – schwul, Priester, behindert, was auch immer. Oder mich an Stereotypen des Hardboileds halte, einen mit Problemen belasteten Einzelgänger. Ich entschied mich absichtlich für das Letztere."3
Und obwohl er es eigentlich nicht beabsichtigt hatte, haben Hole und er Autor selbst doch ihre Gemeinsamkeiten: "Anfangs habe ich gedacht, er und ich wären vollkommen verschieden." Aber: "Er ist zwar nicht mein Alter Ego, trotzdem ist viel von mir in Harry eingeflossen. Sagen wir mal 70 Prozent."4
Eine goldrichtige Entscheidung, wie sich herausstellen sollte. Flaggermusmannen wurde 1997 direkt als bester Kriminalroman des Jahres ausgezeichnet. Im Intervall von etwa zwei Jahren schrieb Nesbø weiter an der Serie, die nicht nur in Skandinavien immer mehr Leser erreichte. Er hatte wie in der Musik nun auch in der Literatur seinen eigenen Sound kreiert, ein Unikat als Protagonisten erschaffen und auch immer einen Blick auf die Unterwelt seiner Heimat geworfen. Jedoch:
"Auch wenn ich sicher nebenbei ein Porträt der norwegischen Gesellschaft in meinem Büchern entwerfe. Doch das ist sekundär. Mich interessiert, weshalb Menschen tun, was sie tun. Ihre Abgründe, ihre Dämonen, ihr Wahnsinn."5
Ins Schriftstellerleben fand er sich schnell ein, behielt beim Schreiben ein bewährtes Schema ein: erst ein fünfseitiges, dann ein zwanzigseitiges Manuskript, darauf achtzig bis hundert Seiten mit ersten Dialogen. Später einen ersten Entwurf, dann einen zweiten. Nur wenigen Leuten gibt er diesen dann zum Gegenlesen. Für Nesbø selbst ist damit das Thema erledigt.6
Neben den Harry-Hole-Krimis schreibt Jo Nesbø Kinderbücher sowie mit Headhunter einen verfilmten Standalone und unterstreicht damit umso mehr, dass der Norweger ein wahres Multitalent ist.
2013, kurz vor dem Erscheinen von Politi (dt. Koma), verstarb Jo Nesbøs jüngerer Bruder Knut, mit dem er nicht nur zu Jugendzeiten im selben Verein Fußball gespielt, sondern auch gemeinsam mit Di Derre Musik gemacht hatte. Zur Veröffentlichung dieses Romans mietete Nesbø einen der größten Clubs in Oslo an, wo sie viele Auftritte hatten.
"Einige meiner Lieblingskünstler spielten und für den letzten Song, einen Di-Derre-Hit, ging ich auf die Bühne und sang. Schaute auf den Boden, die Emporen, auf das Meer von Menschen vor mir. In der Mitte des Songs gibt es ein Gitarrensolo. Ich schaute nach links. Wo er [Knut] hätte stehen sollen."7
Koma widmete er seinem Bruder.
Trotz dieses Schicksalsschlags denkt Nesbø aber nicht ans Aufhören, ganz im Gegenteil: Unter dem Pseudonym Tom Johansen liegen schon zwei neue Romane vor. Und der Norweger wird nicht müde zu betonen, dass er mit Harry Hole noch viel vor hat. Insbesondere wohl dessen Leidensweg zu verlängern:
"Es gibt eine Logik in Harrys Universum. In naher Zukunft sieht die Lage düster für ihn aus. Dann wird es schlimmer. Und schließlich fährt er direkt zur Hölle."8
Doch auch abseits dieses düsteren Universums gibt sich der schmächtige Autor umtriebig: So soll es ein Di-Derre-Revival geben, unter dem Pseudonym Tom Johansen werden zwei Thriller erscheinen, zudem gründete er vor ein paar Jahren eine Wohltätigkeitsorganisation für indische Schüler, die Harry-Hole-Stiftung: "Ich merkte, dass ich das Geld nicht brauchen würde. Ich fühlte eine Art Schuld, dass das bei mir alles so absurd gut lief."9
Womit der Vater einer 13-jährigen Tochter unterstreicht, was ihn trotz allen Erfolgs auf unterschiedlichsten Gebieten auszeichnet: eine tiefe Bescheiden- und Bodenständigkeit.
Lars Schafft, Dezember 2013.
Krimi-Couch-Interview mit Jo Nesbø:
Was Krimis und Songtexte gemeinsam haben
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Mehr über Jo Nesbø:
- Jo Nesbø - die offizielle Homepage
- Anonymus: "An Extra Ordinary Life from Nesbø to Johansen". Online in: The Nordic Page, 22.11.2013
- ebd.
- Crace, John: "Jo Nesbø: ´If Salman Rushdie had been Norwegian, he'd have written a thriller´". In: The Guardian, 28.10.2012
- Stöcker, Martina: "Jo Nesbø und seine Bestseller in Serie". In: Rheinische Post, 03.12.2013
- Henning, Peter: "Oslos Wahnsinn und Dämonen." Online in: ZEIT online, 2.10.2010
- Crace, 2012
- https://jonesbo.com/jo-nesbo/ aufgerufen am 25.10.2013
- Crace, 2012
- Keil, Günter: "Ein Mann, mehrere Leben". In: Playboy, Dezember 2013
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