Sein Repertoire erweiterte sich. Biggers wurde auf das Genre Kriminalroman aufmerksam und beschloss, auch hier sein Glück zu versuchen. 1919 hatte er während eines Urlaub in Honolulu über einen hier tätigen chinesischen Kriminalbeamten namens Chang Apana gelesen. Trotzdem dauerte es noch sechs Jahre, bis Biggers - durchaus direkt auf den Zeitgeist zielend, der exotische Helden schätzte - die Figur des Charlie Chan entwarf, eines trügerisch sanften, aber klugen bzw. mit der sprichwörtlichen Weisheit des Orients gesegneten Polizisten. Der Humorist Biggers scheint in den zahllosen Aphorismen durch, die dieser seinem Helden in den Mund legt; heute erscheinen diese "Chanismen" freilich reichlich albern und abgeschmackt, wie überhaupt Chans angeblich komischen Verdrehungen der amerikanischen Sprache einen schalen Nachgeschmack hinterlassen.
Was uns zur unschönen Frage trägt, ob denn die Charlie Chan-Romane aus politisch korrekter Sicht nicht als bodenloser Sumpf rassistischer Stereotypen zu verdammen sind. Hier muss man wiederum zwischen Film und Buch scheiden, denn den Schwarzen Peter behält Hollywood. Earl Derr Biggers hat sich im Rahmen des zeitgenössischen Weltbilds durchaus weit aus dem Fenster gelehnt. Auch im "Chinesenpapagei" gibt es einige Szenen, die sehr deutlich machen, dass der Verfasser Charlie Chan ungeachtet aller skurrilen Züge ganz sicher nicht als Menschen zweiter Klasse oder Vorzeige-Exoten abgewertet wissen wollte. Statt dessen streut Biggers immer wieder Momente ein, in denen er dünkelhafte Bleichgesichter gar nicht gut dastehen lässt. Chan ist bei aller Zurückhaltung sehr wohl ein selbstbewusster, von seinen Fähigkeiten eingenommener Charakter, der als solcher von seinen denkenden Mitmenschen auch wahrgenommen und respektiert wird.
Zu Lebzeiten Earl Derr Biggers war den Charlie Chan-Romanen nur bescheidener Erfolg beschieden - mit einiger Berechtigung, wie man wohl sagen muss. Tragischerweise starb der Verfasser gerade dann, als Hollywood wirklich auf ihn aufmerksam geworden war. Charlie Chan überlebte ihn, benötigte seine ohnehin zweifelhafte Schützenhilfe auch gar nicht mehr. Bis auf den heutigen Tag ist er in immer neuen Inkarnationen präsent, während sich kaum mehr jemand seines Schöpfers erinnert.
Krimis von Earl Derr Biggers:
- Charlie Chan-Reihe:
- Das Haus ohne Schlüssel
(1925)
The house without a key
- Der Chinesenpapagei / Charlie Chan und der chinesische Papagei / Der chinesische Papagei
(1926)
The chinese parrot
- Hinter jenem Vorhang / Charlie Chan und die verschwundenen Damen
(1928)
Behind that curtain
- Charlie Chan und das schwarze Kamel
(1929)
Charlie Chan an the black camel
- Charlie Chan macht weiter
(1930)
Charlie carries on
- Charlie Chan vor verschlossenen Türen / Der Hüter der Schlüssel
(1932)
The keeper of the keys
- "Neue Charlie Chan-Romane":
- Charlie Chan returns (von Dennis Lynds, d. i. Michael Collins)
(1997)
- Charlie Chans in the Pawns of Death (von Robert Hart Davis; das sind Bill Pronzini u. Jeffrey M. Wallmann)
(2002)
- Charlie Chan in the Temple of the Golden Horde
(2003)
- Seven keys to Baldpate
(1913)
- Das versicherte Herz. Ein Roman mit vielen Überraschungen
(1914)
Love insurance
- Inside the Lines (mit Robert Welles Ritchie)
(1915)
- Die Schmerzensspalte / Junger Mann sucht Anschluss ... / Die Briefe des Mister West: Eine geheimnisvolle Kriminalaffäre
(1916)
The Agony Column / Second Floor Mystery
- Fünfzig Kerzen (mit John Gregory Betancourt)
(1926)
Fifty candles
- Earl Derr Biggers tells ten stories
(1933)
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