Auch das ist typisch Leonard: Seine Bücher stehen im Schatten ihrer Verfilmungen. Sie gelten bei uns als Insidertipps, und das in einem Land, dessen Krimileser doch traditionell nach Amerika schielen. Kaum einer hat "Get Shorty" oder "Rum Punch" gelesen. Aber jeder hat Schnappt Shorty (mit John Travolta, Regie: Barry Sonnenfeld) oder Jackie Brown (von Quentin Tarantino) im Kino gesehen.
Dabei ist Leonard der derzeit beste Schreiber von Gaunerkomödien. Keiner formuliert so geschliffene Dialoge. Keiner beherrscht den trockenen Humor wie er. Leonard schreibt leicht und boshaft, brutal und wahrhaftig in perfekter Ausgewogenheit - wo andere Autoren über Mätzchen nicht hinauskommen oder sich mit Dauerironie über die eigenen Figuren lustig machen und sie dabei demontieren, beherzigt Leonard auf jeder Seite, dass auch ein zwerchfellerschütternder Krimi in erster Linie temporeich und spannend sein muss. Für die "New York Times" ist er der beste lebende Kriminalschriftsteller der USA. Der coolste ist er mit Sicherheit.
Wir reden von einem Autor, der bereits 1925 geboren wurde und seit fast fünf Jahrzehnten schreibt. Eine mühevolle Karriere liegt hinter ihm. Leonard begann in den fünfziger Jahren mit Westernheftchen. Für das staubige Genre entschied er sich aus kommerziellen Gründen, aber als Hauptfiguren wählte er schon damals Außenseiter: Mexikaner, Indios, Frauen, die sich in der rauen Pionierwelt durchzuboxen versuchen. Damals tippte er morgens zwischen fünf und sieben Uhr für zwei Cents pro Wort, bevor er ins Büro ging, wo er für eine Detroiter Werbeagentur Autoreklame textete. Mit "Hombre" verkaufte er Anfang der Sechziger zum ersten Mal einen Stoff nach Hollywood. Paul Newman spielte die Hauptrolle und Leonard kündigte den ungeliebten Brotjob.
Die Western-Ära ging zu Ende. Leonard sattelte um. Mit "The Big Bounce" (deutsch: "Ein schlechter Abgang") avancierte er zum Chronisten des zeitgenössischen kriminellen Amerika. Gauner und Cops hatten die Viehtreiber abgelöst. Von der Prärie in den Asphaltdschungel von Miami, Atlantic City, Los Angeles. Leonard gewinnt an Format. Sein Agent H. M. Swanson, der auch schon Scott Fitzgerald und Ernest Hemingway vertreten hat, verspricht ihm, er würde ihn reich machen. Fast jährlich erscheint ein neuer Leonard, doch es dauert weitere siebzehn Jahre, bis er 1985 mit "Glitz" endlich in die Bestsellerlisten der USA einzieht. Time und Newsweek entdecken ihn. Leonard erreicht Kultstatus. Seine Erfahrung hat ihn gelehrt, dass er sich darauf nicht ausruhen kann. Erst der Kinoerfolg von "Schnappt Shorty" macht ihn 1995 zum wirklichen Star. Heute ist "Dutch", wie sein Spitzname nach einem Sportler aus seiner Jugendzeit lautet, für Schriftstellerverhältnisse reich. Er leistet sich einen eigenen Rechercheur. Die Filmrechte von "Be Cool" sollen ihm fünf Millionen Dollar eingebracht haben. Wenn sein Telefon klingelt, sind nicht selten Filmschauspieler dran oder namhafte Regisseure. Leonards Dialoge sind hinreißendes Gequatsche, das Lachtränen strömen lässt - und davon ist Hollywood hingerissen.
Die Filmindustrie tut sich dennoch nicht immer leicht mit Leonards Vorlagen. Abel Ferrara hat aus "Cat Chaser" einen Quasselfilm gemacht. John Frankenheimer vermurkste "52 Pick-up". Unsäglich wirkte der Streifen "The Big Bounce" - nach fünfzehn Minuten verließ Leonard während der Uraufführung den Saal, wie er heute gesteht.
Die Kinoflops haben ein Missverständnis als Ursache: Leonard lässt seine Romanfiguren zwar Lachhaftes reden und erleben. Aber er degradiert sie nicht zu Witzfiguren. Er nimmt sein Personal Ernst. Die Psychopathen, korrupten Richter, armseligen Go-Go-Tänzerinnen wirken schillernd, aber stets glaubhaft. Der Drehbuchautor Scott Frank ("Get Shorty" und "Out of Sight" - derzeit schreibt er an der Filmversion von "Be Cool") scheint das begriffen zu haben. Und natürlich Quentin Tarantino, für den Leonard der Lehrmeister des Erzählens war. Im Alter von 15 Jahren klaute Tarantino den Leonard-Krimi "The Switch" (deutsch: "Wer hat nun wen aufs Kreuz gelegt?") im Supermarkt und verschlang ihn zu Hause. Das Buch und weitere haben den Filmemacher nachdrücklich beeinflusst. "Pulp Fiction" ist ohne sie gar nicht denkbar. Die Figuren dieses bereits legendären Films haben das Laufen und - vor allem - das Reden bei Elmore Leonard gelernt. Eine gute Schule. Tarantino hat nach "Jackie Brown" drei weitere Romane des "Dutch" optioniert.
Anarchisch mutet Leonards Arbeitsweise an, wenn es stimmt, was der Autor in Interviews darüber verrät. In kurzer Zeit verfasst er demnach etwa einhundert Seiten ohne Plan. Dann erst ordnet er den Text und fährt fort. Die Figuren entwickelt er aus den Dialogen. Als er seinen neuesten Roman "Pagan Babies" (deutsch: "Heidengeld") begann, ahnte Leonard angeblich nicht, ob die Hauptfigur Terry nun tatsächlich ein Priester sei oder dies den anderen nur vorlüge. Wie seine Leser erfährt Leonard nach eigenen Angaben erst am Ende des Buchs, ob Liebende sich kriegen, ob ein krimineller Coup gelingt oder kläglich scheitert. Atemlos wirken die Bücher, zugleich bis ins Detail gemeistert. Nichts ist überflüssig, keine Zeile langweilt.
Mit seinem Wortwitz zeichnet Leonard eine Karikatur des American Way of Life, in dem nur Lügen und Hereinlegen zählen. In all dem Wahnsinn verbirgt sich gleichwohl Wärme. Indem der Autor Schwarz-Weiß-Malerei vermeidet, erzielt er einen Realismus, der die ausgefallensten Wendungen plausibel macht. Und so fiebern wir mit den kleinen und größeren Gaunern, die beileibe keine guten Menschen sind.
Leonards Humor wirkt umso befreiender, weil er auf Botschaft, Belehrung und "political correctness" verzichtet - im Unterschied zu Autoren, die es vielleicht schneller in Bestsellerränge schafften, aber meist einen schalen Nachgeschmack hinterlassen. Ein Leser schrieb ihm: "Ich hatte beschlossen, mich umzubringen. Dann hörte ich, dass Sie einen neuen Roman geschrieben haben." Mit dem Selbstmord sollte sich der Fan weiterhin Zeit lassen. Auch mit 76 Jahren stellt Leonard die Arbeit nicht ein. "Tishomingo Blues" lautet der Arbeitstitel des Werks, an dem er derzeit arbeitet, sieben Stunden und vier Seiten pro Tag, fünf Tage pro Woche. Mit dem Montblanc-Füller statt am Computer. Was keineswegs bedeutet, dass "Dutch" nicht auf der Höhe der Zeit wäre.
Elmore Leonard starb infolge eines Schlaganfalls am 20. August 2013 in Detroit.
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