Der dritte Mann

  • Artemis
  • Erschienen: Januar 1951
  • 1
  • London: William Heinemann, 1950, Titel: 'The third man and the fallen idol. Two stories', Seiten: 188, Originalsprache
  • Zürich: Artemis, 1951, Seiten: 195, Übersetzt: Fritz Burger, Bemerkung: Enthält außerdem: Kleines Herz in Not
  • Hamburg: Rowohlt, 1957, Seiten: 133, Übersetzt: Fritz Burger
  • Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1970, Seiten: 133, Übersetzt: Fritz Burger
  • Wien: Zsolnay, 1991, Seiten: 191, Übersetzt: Fritz Burger
  • Wien: Zsolnay, 1994, Seiten: 142, Übersetzt: Fritz Burger & Käthe Springer
  • München: Süddeutsche Zeitung, 2004, Seiten: 122, Übersetzt: Fritz Burger & Käthe Springer
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Matthias Kühn
98°1001

Krimi-Couch Rezension vonMai 2011

Ich war bei deinem Begräbnis

Wenn man sich die Entstehungsgeschichte des 1950 erschienenen Romans Der dritte Mann anschaut, könnte man, ohne eine Seite gelesen zu haben, eigentlich den Mund verziehen: Das ist ein Buch, das nach einem Film entstand; und was das heißt, ist ja wohl allgemein bekannt. Schließlich gibt es so viele überflüssige Romane, mit denen ein Filmerfolg über den Buchmarkt zusätzlich vergoldet werden soll.

Aber halt; denn auffällig sind bereits im Vorfeld ein paar Fakten: Graham Greene hatte bereits bei Kleines Herz in Not mit Regisseur Carol Reed zusammengearbeitet – das Ergebnis überzeugt auch heute noch vollkommen. Alexander Korda, der solche Klassiker wie Der Dieb von Bagdad und Sein oder Nichtsein produzierte, fragte bei Greene nach, ob er nicht ein weiteres Drehbuch schreiben könne. Greene hatte nur eine kleine, alte Notiz anzubieten, in der ein gerade Beerdigter plötzlich in einem Menschengewühl auftaucht – das genügte als Grundlage für die Zusammenarbeit. Der einzige Punkt, um den Korda bat: Greene sollte die Handlung ins zerstörte, in vier Sektoren aufgeteilte Wien verlegen. And the rest is history.

Erzählung als Rohmaterial für den Film

Das gilt natürlich in erster Linie für den Film. Dann kam Greenes Akribie zum Tragen, man könnte auch sagen: Verschrobenheit. Denn, wie er im Vorwort zum Roman schrieb: "Für mich ist es nahezu unmöglich, ein Drehbuch zu schreiben, ohne den Stoff zunächst als Erzählung zu behandeln. Selbst ein Film braucht mehr als bloße Handlung; seine Wirkung hängt von einem gewissen Maß an Charakterisierung, von Stimmung und Atmosphäre ab; und diese lassen sich – so scheint es mir – auf den ersten Wurf nicht in der dürren Kurzschrift eines Filmmanuskripts zum Ausdruck bringen. Man kann einen Effekt reproduzieren, der in einem anderen Medium erzielt wurde, aber man kann den ersten Schöpfungsakt nicht in der Form des Drehbuchs vollziehen. Man muss das Gefühl haben, über mehr Stoff zu verfügen, als man dann tatsächlich verwendet."

So entstand also zuerst eine Erzählung, pures Rohmaterial, das dann zum Drehbuch wurde. Mehr als Rohmaterial sollte der Roman Der dritte Mann also nie sein. Nun weicht aber der – selbstverständlich ausgebarbeitete – Roman in vielen Punkten stark vom Film ab – was Greene so erklärt: "Dem Leser werden zahlreiche Unterschiede zwischen der Erzählung und dem Film auffallen, er darf aber nicht glauben, dass diese Veränderungen einem widerstrebenden Autor aufgezwungen wurden; sie können genausogut vom Autor selbst vorgeschlagen worden sein. Tatsächlich ist der Film besser als die Erzählung, denn er stellt in diesem Fall die endgültige Fassung der Erzählung dar."

Alles fließt wunderbar

Wenn Greene schon also mehr oder weniger sagt: Leute, schaut lieber den Film, der ist besser als das Buch!, dann ist das nicht einmal Koketterie. Es stimmt. Schließlich taucht der Film immer wieder in den ewigen Toplisten auf, das Buch aber kaum. Dennoch ist es auch heute noch lesenswerter als viele hochgelobte Thriller. Aus einem einfachen Grund: Wie der Film funktioniert das Buch auf einer ganz einfachen, klaren Ebene. Die Stimmungen sind jederzeit greifbar, die Figuren lebensecht, die Spannung niemals aufgesetzt oder mit unlauteren Mitteln erzwungen. Alles fließt wunderbar vor sich hin, Greene verdichtet die Geschichte so gleichmäßig und wohltuend, als hätte er sie in einen Trichter geschüttet.

Ach ja, die Handlung: Holly, nein: Rollo Martins schreibt mit Erfolg seichte Westernromane; er erfährt, dass sein Freund Harry Lime, den er gerade in Wien besuchen will, bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen sei. Ursprünglich wollte Martins in Wien einen Zeitungsartikel über die internationale Flüchtlingsbetreuung schreiben; jetzt hakt er nach und bekommt heraus, dass alle, die am angeblichen Unfall beteiligt waren, Harry kannten. Wer aber ist der dritte Mann, von dem ein Anwohner berichtet? Der ist schon bald tot, und Rollo weiß: Hier stimmt einiges nicht.

Skrupelloser Penicillin-Handel

Bei seinen Recherchen trifft Martins auf Anna Schmidt, eine Ungarin, die mit falschen Dokumenten in Wien lebt und in ständiger Furcht davor lebt, sie könnte auffliegen. Es kommt sogar so weit, dass die sowjetische Polizei Anna in ihre Zone verschleppen will. Das passierte damals tatsächlich recht häufig.

Vom britischen Major Calloway, der als Erzähler fungiert, erfährt Martins schließlich, welcher Tätigkeit sein Freund nachging: Harry Lime handelte mit gestrecktem Penicillin, das furchtbare Auswirkungen hat, bis hin zur Hirnhautentzündung bei Kindern. Etliche Kinder starben sogar durch das verunreinigte Medikament. Calloway führt Rollo durch ein Krankenhaus, wo er die Ergebnisse des Schwarzmarkthandels mit hohen Gewinnspannen sieht.

Und ab in die Kanalisation

Dieser Schock verändert seine Meinung über Harry auf einen Schlag. Er lässt sich darauf ein, für die Briten den Spitzel zu spielen, um den dritten Mann aus seinem Versteck zu locken – und den skrupellosen Schwarzmarkthändlern das Handwerk zu legen. Auch wenn Martins längst ahnt, wen er da ans Messer liefern soll. Und dass es schließlich eine wilde Jagd durch die Wiener Kanalisation gibt, dürfte kein Geheimnis sein.

Wer noch eine alte Ausgabe in der Übersetzung von Fritz Burger zur Verfügung hat, wie sie 1957 als rororo-Taschenbuch erschien, sollte sich doch entschließen, den Roman neu zu erwerben. Die Überarbeitung eben jener Übertragung, die Käthe Springer ablieferte, ist wesentlich moderner: klarer, bodenständiger, weniger verschnörkelt; das passt einfach besser.

Der dritte Mann

Graham Greene, Artemis

Der dritte Mann

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