Cash
- Der Hörverlag
- Erschienen: Januar 2010
- 6
- New York: Farrar, Straus and Giroux, 2008, Titel: 'Lush life', Seiten: 455, Originalsprache
- München: Der Hörverlag, 2010, Seiten: 8, Übersetzt: Christian Berkel
- Frankfurt am Main: Fischer, 2011, Seiten: 521
- Frankfurt am Main: Fischer, 2012, Seiten: 521
Raus aus dem Schmerz dieses großartigen Lebens
Everybody had to pay and pay, a hustle here and a hustle there
New York City is the place where they said: "Hey babe take a walk on the wild side"
Es ist fast zu einfach, aber was bietet sich besser an die Vorstellung eines großen New York Romans einzuleiten als Lou Reed? Na gut vielleicht Woody Allen, von dessen redegewandter (oder geschwätziger?) Komik sich auch einiges in Cash finden lässt.
Aber es ist tatsächlich ein "walk on the wild side" Dreh- und Angelpunkt des Romans. Drei Angetrunkene werden überfallen. Steven Boulware spielt Delirium, Eric Cash, der zweite befolgt angsterfüllt die Wünsche des Jugendlichen mit der Waffe, Ike Marcus rebelliert dagegen. Und bekommt eine Kugel ab.
Es dauert nicht lange, bis die Polizei eintrifft und ein Verdächtiger ist auch schnell gefunden: Eric Cash, der Barmann, der sich während seiner Vernehmung in Widersprüche verwickelt. Detective Matty Clark und seine Partnerin Yolonda treiben ihn in die Ecke, verhören und beschuldigen ihn, bis er sich in sich selbst zurückzieht. Und nicht gesteht. Er wandert trotzdem ins Untersuchungsgefängnis.
Für eine Nacht. Denn schnell stellt sich seine Unschuld heraus. Wertvolle Zeit und menschliche Ressourcen sind vergeudet. Der Präsident besucht die Stadt und weitere Verbrechen geschehen.
Bald steht Matty Clark nahezu allein auf weiter Flur. Er fühlt sich Billy Marcus, dem verzweifelten Vater des Opfers verpflichtet, vielleicht noch mehr Stiefmutter Minette (wenn auch aus teilweise den Mordfall kaum betreffenden Gründen), die ihre Ehe entgleiten sieht.
Der Hauptzeuge verweigert sich der Polizei aus nachvollziehbaren Gründen, wird dafür gebrandmarkt, strauchelt, fällt und bleibt liegen, bis er merkt, dass er auch jenseits von körperlichem Schmerz, Angst und Selbstmitleid weiterleben kann.
Am Ende hat der Moloch New York, genauer die Lower Eastside, alle Beteiligten durchgeschüttelt, runter geschluckt und wieder ausgespuckt. Und jeder muss mit veränderten Verhältnissen klar kommen. Ob er will oder nicht. Oder gar kann...
Wieder kein Serienkiller in Sicht. Kein ränkeschmiedender Superpsychopath mit einem IQ höher als der Sharon Stones. Stattdessen Tristan, ein misshandelter, verschreckter Jugendlicher, der Rap-Lyrics schreibt und aus einer unglückseligen Mischung aus Sehnsucht nach Anerkennung und Versehen zum Mörder wird. Ein Opfer, das man nun im Licht seines sinnlosen Todes verklärt sieht. Vergeudete Leben; hier wie dort. Menschen, die trauern, Menschen, die Kapital aus dem Tod schlagen wollen, eine Stadt, die ihre Bewohner im Griff hat. Wer versucht zu fliehen, wird spätestens an der Stadtgrenze von Zweifeln geplagt.
Opfer und Täter, Feiglinge und Helden - selten hat ein Roman Grenzen derart verschwimmen lassen wie Cash. Unglücklicher deutscher Titel, lenkt er doch das Augenmerk zu sehr auf Eric Cash, dessen Trauma zwar stellvertretend für die Traumata einer ganzen Stadt steht, der aber nur eine gleichberechtigte Figur unter vielen anderen ist. Lush Life das Original, dieses "großartige Leben" ist eine viel treffendere Überschrift. Denn ob sarkastisch gemeint oder wahrhaft, es trifft zu; auch wenn das Leben als Ganzes nie großartig ist, beinhaltet es Momente, die ein Weiterleben möglich und manchmal auch erfüllend machen.
Price ist ein hervorragender Biograph; alle seine Figuren atmen, führen ein Eigenleben, sind in ihrem Versagen und in ihren Momenten der Wahrhaftigkeit jederzeit glaubwürdig und nachvollziehbar. Matty Clark, der stoische Cop, der trotz seiner Zweifel Eric Cash bricht, noch überstochen von seiner Partnerin, der scheinbar verständnisvollen Yolonda, die für Eric zur Nemesis wird. Billy Marcus, der vor Trauer zerfließende Vater, der in bestimmten Momenten Stärke beweist, die es braucht um weiterzumachen, in anderen aber völlig versagt. Steven Boulware, der sich zur medialen Stimme des getöteten Ike Marcus macht und nur ein eitler Selbstdarsteller ist, der seine große Chance wittert. Eric Cash, der sich in einer Angst verliert, die fast ohne Vorwarnung Besitz von ihm ergreift, und der er sich stellen muss, um sie zu überwinden. Das könnte zum billigen Klischee ausarten, doch Price lässt es beinahe beiläufig mit einer Selbstverständlichkeit geschehen, die vom Wissen um die Komplexität der menschlichen Psyche zeugt.
Zurecht für seine hervorragenden Dialoge gelobt – dass Price ein ausgebuffter Drehbuchautor ist, lässt sich nicht verleugnen – sind sie genau die Crux des Buches. Manchmal verliert sich die Handlung in wohl formulierten Wortgefechten, alles steht stock und steif und lauscht den Protagonisten, als bewegten sie sich auf einer Theaterbühne.
"Ich hab’s kapiert, kann weitergehen", liegt auf der Zunge, bis einem gewahr wird, dass auch die Geschwätzigkeit Teil eines perfiden Spiels ist, dem richtigen Leben abgeschaut, den vielfältigen Augenblicken und Situationen in denen immer noch gequatscht wird, wenn Aktionen vonnöten wären.
Hier muss man sich entscheiden, ob man gelangweilt abwinkt, die elegante Konstruktion wohl zur Kenntnis nehmend; oder dran bleibt, um zu erfahren, wer alles den Todesschrein von Ike Marcus besucht und warum.
Doch selbst wer bei all den launigen Labereien die Zähne zusammenbeißt, wird nicht umhin kommen, die zahlreichen Höhepunkte mit Genuss wahrzunehmen. Sei es Matty Clarks nicht vorhandene väterliche Beziehung zu seinen Söhnen ("der Große" und "der Andere)", Eric Cashs verzweifelte Suche nach jemand, der ihn liebt oder auch nur zuhört; Tristans bedrückende Homestories, all die kleinen Randnotizen aus dem Polizeialltag, die auch Joseph Wambaugh-Anhängern Freude bereiten dürften, und vor allem jene Groteske, zu der sich Ike Marcus’ Beerdigung auswächst. Die Konfrontation mit der eigenen Sterblichkeit wird zur Comedy-Show, bei der all die verhinderten Akteure und Aktricen, die als Kellner, Abräumer oder was auch immer ihr Brot verdienen, ihr scheinbar wahres Talent zur Schau stellen. Immerhin sind viele Kameras vor Ort. Alleine diese Seiten sind die Lektüre des ganzen Romans wert.
Wenn ein Buch beworben wird mit der Aussage "Barrack Obama hat Cash mit in den Urlaub genommen, als offizielle Ferienlektüre", ist man geneigt das Teil ungelesen in die Ecke zu schmeißen. Mir ist ziemlich egal, welche Bücher der aktuelle amerikanische Präsident liest; egal ob er Bill Clinton, George W. Bush oder Barrack Obama heißt. D.h. ganz stimmt das nicht, wäre interessant zu wissen, ob Bush Jr. überhaupt lesen kann. Das gibt dem Buch von außen etwas prätentiöses, dass es eigentlich nicht nötig hat. Cash ist kein lupenreiner Thriller, kein Polizeiroman, auch wenn die Ermittlungen einen gewichtigen Teil ausmachen. Cash handelt von großen und kleinen Fluchten, die mit dem Gefängnis, dem Tod aber auch ein klein bisschen Erlösung enden können. Und er tut gut daran, sich mit verwandten Kriminalromanen gut zu stellen, anstatt darauf zu beharren, ein "Amerikanischer Klassiker" in spe zu sein. Denn sonst kommt z.B. Lawrence Block um die Ecke und kann mit Fug und Recht behaupten: "Bin schon längst da gewesen". Mehrfach.
Aber das ist eine Sache der Außendarstellung und –wahrnehmung. Letztlich gilt für Cash einer meiner liebsten Leserkommentare auf der Krimi-Couch: "der buch alleine auf sich ist sehr gut"!
"There’s a funeral tomorrow at St. Patrick’s, the bells will ring for you
What must you have been thinking when you realized the time had come for you
I wish I hadn’t thrown away my time on so much Human and so much less Divine;
The end of the Last temptation, The end of a Dime Store Mystery.”
Lou Reed again, at last.
Richard Price, Der Hörverlag
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