Ein Mord von bessrer Qualität
- Bastei Lübbe
- Erschienen: Januar 2010
- 5
- Köln: Bastei Lübbe, 2010, Seiten: 368, Übersetzt: Axel Merz
Ein Krimi von bessrer Qualität wäre wünschenswerter gewesen
An einem nebligen Abend des Jahres 1867 tastet sich Inspector Benjamin Ross nach hause und stößt mit einer panischen jungen Frau zusammen. Ungeachtet des dichten Nebels flüch-tet sie blind vor einem unheimlichen "Fluss-Phantom", das bereits andere Frauen und insbe-sondere Prostituierte in Angst und Schrecken versetzte und über magische Kräfte verfügen soll. Natürlich glaubt Ross diesem Geschwätz kein Wort, wenn er auch eingestehen muss, dass etwas oder jemand die junge Frau in schreckliche Angst versetzen konnte. Eine andere Qualität bekommen die Gerüchte als jedoch am nächsten Morgen die Leiche der jungen, schönen, reichen Allegra Benedict aufgefunden wird. Existiert das mysteriöse Fluss-Phantom also doch und wenn ja, wer verbirgt sich hinter dieser Maske?
Romane, die ihn der viktorianischen Zeit spielen, vermitteln zunächst einen besonderen Zauber. Die Straßenlampen werden noch von Gaslicht gespeist, im Kamin flackert ein fröhli-ches Feuer und generell herrscht eine Atmosphäre, die die Zeiten Sir Arthur Conan Doyles aber auch die von Jack the Ripper zurück bringen. Dieser Reiz trägt natürlich in besonderem Maße zu der Wirkung dieses Krimis bei, konnten doch seinerzeit tatsächlich Sagen und My-then entstehen, die heute mit einer einzigen forensischen Untersuchung aufgeklärt wären. In der Ära, in die uns Ann Granger führt, war noch die gute alte Detektivarbeit gefordert, ehe die moderne Wissenschaft das Szepter übernahm.
Leider ist diese Atmosphäre allein nicht geeignet, einen kompletten Krimi zu tragen, erwartet der Leser eben dann tatsächlich die durchdachte und logische Vorgehensweise, die sich an zum Beispiel an der Frage orientierte, warum ein Hund in einer bestimmten Nacht eben nicht bellte. Das ermittelnde Dreiergespann Benjamin Ross, seine Frau Lizzie und deren treues Dienstmädchen pfeifen jedoch konsequent auf diese Regeln. Gerüchte die auftauchen, wer-den ohne jegliche Grundlage als Beweise konzipiert und auf dieser Basis erschließt sich ein munterer Reigen von potentiellen Verdächtigen, die in den Focus der Ermittlungen rücken und aus demselben wieder entfernt werden, sobald sich eine neue – größtenteils unbelegte – Möglichkeit bietet. Tatsächlich ergeben sich aus dieser unkoordinierten Suche irgendwann fundierte Indizien, doch ist der Weg dahin ein mühsamer, der lediglich dazu beiträgt, den Leser zu nerven. Diesen Effekt erreicht die Autorin auch durch die Widersprüchlichkeiten in ihrem Roman: Einerseits ist die viktorianische Gesellschaft in ein festes Korsett gepresst, bei dem klar geregelt ist, wer das Sagen hat, andererseits lassen sich die Ross’es permanent von ihrem robusten Dienstmädchen Bessie auf der Nase herum tanzen. Mit dieser Darstellung torpediert Granger aber wieder das ansonsten düster geschilderte Gesellschaftsbild der Frau in der damaligen Zeit. Versucht das spätere Mordopfer Allegra Benedict noch durch eine romantische Affäre aus seinem goldenen, einsamen Käfig auszubrechen, belegt die Person der Bessie scheinbar, dass hierfür nur eine gehörige Portion Frechheit notwendig gewesen wäre. Dennoch mag bezweifelt werden, dass es einer realen Bessie gelungen wäre, in der damaligen Zeit eine Anstellung zu finden und zu behalten.
Immerhin ist die Auflösung des Falles dann doch überraschend und hätte bei einem durch-dachten und gut konstruierten Aufbau vielleicht sogar überzeugen können. Aber wie sang seinerzeit schon Reinhard Mey? Und auch wenn dieser Berufsstand einmal mehr nichts mit der Tätergruppe gemeinsam hat, bleibt das Prinzip am Ende doch das Selbe.
Ann Granger, Bastei Lübbe
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