Dunkler Gefährte
- Pulp Master
- Erschienen: Januar 2010
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- Tucson, AZ: Dennis McMillan, 2006, Titel: 'Dark Companion', Seiten: 144, Originalsprache
- Berlin: Pulp Master, 2010, Seiten: 191, Übersetzt: Angelika Müller
Wenn das Chaos regiert
Entdeckungen sind immer wieder etwas Schönes. Und fernab vom Mainstream macht man bekanntermaßen oft die allerbesten Entdeckungen. Zu den kleinen, aber sehr feinen Verlagen, die es immer wieder schaffen, selbst in ihrer Heimat USA eher unbekannte Autoren in deutscher Übersetzung zu präsentieren, gehört in allererster der Berliner Pulp Master Verlag. Und da ist wieder einmal jemand untergekommen, von dem bislang vielleicht nur die eingefleischtesten Fans des Pulp oder Noir schon mal begegnet sind. Denn Jim Nisbets bislang einziger anderer auf deutsch erhältlicher Roman heißt Tödliche Injektion und wurde in der legendären deutschen Black Lizard Reihe von demselben Frank Nowatzki herausgegeben, der sich seit 1994 für die Pulp Master Reihe verantwortlich zeigt.
Nisbet zeichnet eine eiskalte Gesellschafts- und Sozialkritik aus. Ungerechtigkeiten und die Brutalität des amerikanischen Kapitalismus werden als Selbstverständlichkeiten, mit denen man sich arrangieren muss, dargestellt. Und wenn man das kann, lässt sich ein in der Anonymität der Masse unbemerktes und unauffälliges Leben führen. Für Nisbet scheint das ganz natürlich, so natürlich, dass er dies auf eine metaphysische Ebene hebt und die Physik der Neutronensterne als Kronzeuge anführt.
Banerjhee Rolf funktioniert als tragischer Held in Dunkler Gefährte. Ein Inder im Silicon Valley, der als Chemiker in einer Biotech-Firma ein Labor geleitet hat. Die Firma ist von einer Heuschrecke übernommen worden und Rolfs Job wurde mal eben wegrationalisiert. Jeder Dollar muss nun im Hause Rolf zweimal umgedreht werden. An Altersvorsorge ist nicht mehr zu denken und Krankenversicherung ein Fremdwort. Der Sohn studiert in Chicago und die Frau, die die Familie mit ihrem Job gerade so über Wasser hält, will dort nach einem neuen Arbeitgeber suchen. Dann könnte man umziehen und vielleicht kann auch Banerjhee dort noch mal eine neue Herausforderung finden. Doch der nörgelt schon über das kalte Klima und will eigentlich seinen gut gepflegten Garten nicht zurück lassen. Eigentlich kann er die freie Zeit genießen und sich ausgiebig seinem Hobby, der Astrophysik widmen.
Die Welt gerät für Banerjhee aus den Fugen am späten Abend nach der Abreise seiner Frau. Sein neuer Nachbar und dessen Freundin streiten sich und Banerjhee gerät schlichtend zwischen die Fronten. Er lässt sich in deren Haus einladen und erfährt von den elementaren Problemen seines Nachbarn: Ein Piratensender stört die Sendefrequenz eines Pay-TV-Pornokanals und sendet blasphemische Kommentare zu den Terrorangriffen des 11. Septembers 2001 auf das World Trade Center. Das Bild, das Banerjhee bislang von seinen Nachbarn hatte, scheint sich zu verfestigen, bis plötzlich…
Und das ist das Wunderbare an der Sache: In der Sekunde, in der Rolf merkt, wie die Dinge laufen, ist es bereits zu spät zu reagieren und gegenzusteuern. Wie ein kleines Atom ist er aus seiner spießig-kleinbürgerlichen Umlaufbahn geschleudert worden und steuert schnurstracks auf sein Schicksal zu. Surreal anmutend das Finale, in einem heruntergekommenen Casino in Las Vegas, das zu einer Art Zwischenwelt mutiert (oder ist es nur das Restaurant am Ende des Weltraums?) und in dem Rolf dank eines alten Goldgräbers die Essenz des Daseins zu erkennen scheint.
Stellenweise geht Dunkler Gefährte unter die Haut. Die kühle Abgeklärtheit, mit der Nisbet die Gesellschaft beschreibt, wie sie ist, und die selbstverständliche Relation zu Physik und Chaostheorie wirken verstörend auf den Leser. Es sind Kleinigkeiten, die die Tragik des menschlichen Miteinanders in der Gesellschaft kennzeichnen. Die Begegnung mit dem Parkplatzwächter in der alten Firma, der immerhin noch einen Job hat. Oder der Besuch bei einem Luxus-Immobilienmakler, nachdem Rolf mehr aus der Welt gerissen wirkt, als in der Konfrontation mit seinem verkommenen Nachbarn. Es wirkt so unnatürlich wundersam, dass diese Koexistenz funktioniert, und doch ist es nach den Gesetzen der Physik eine Selbstverständlichkeit.
Aber genau hier liegt das Problem des Romans. Der Autor begibt sich in Sphären der Astrophysik, unter denen der durchschnittliche Krimikonsument nur Bahnhof versteht. Einen Bezug zwischen Handlung und dem im Hobby Rolfs verpackten Bezug zur Astrophysik herzustellen, erliegt schon allein vom Grundgedanken her dem Verdacht intellektueller Höchstleistung. Das entspricht im Nachhinein zwar nicht unbedingt der Realität, doch ist allein dieser Grundgedanke an sich für die meisten Leser schon mal abschreckend. Wer sich trotzdem an das Buch wagt, wird belohnt: Nisbet’s Dunkler Gefährte ist ein Roman, der sehr stark zum Nachdenken anregt und mit dem man entdecken kann, wie sehr das Chaos die einzige Ordnung im Leben ist.
Jim Nisbet, Pulp Master
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