Wo die Zitronen blühen
- Tropen
- Erschienen: Januar 2009
- 14
- Rom: e/o, 2005, Titel: 'Nordest', Originalsprache
- Stuttgart: Tropen, 2009, Seiten: 215, Übersetzt: Judith Elze
- München: Heyne, 2011, Seiten: 216, Übersetzt: Judith Elze
Die Organisation ist an allem Schuld
Wen interessiert nicht ein Plot, indem eine Frau sich als Hure bezeichnet, ein Geheimnis vorzugeben weiß und kurz vor der Hochzeit ermordet wird, der beinah Ehemann düpiert zurückbleibt, sich in eine Fehde mit seinem Vorgänger einlässt, der ihn des Mordes beschuldigt, und einen Vater an der Seite weiß, dessen Einfluss ihn vor der möglichen Strafverfolgung zu schützen weiß?
Massimo Carlotto ist dem deutschen Publikum vor allem durch seinen schonungsloslosen Roman Arrivederci Amore, Ciao ein Begriff.
Marco Videtta weniger. Er soll sich in Italien als Drehbuchautor einen Namen gemacht haben. Es kommt mitunter vor, dass Autoren sich an ihren Schreibtischen langweilen, das ewige Einerlei von Texten, Abgeschiedenheit und Selbstdisziplin sie zu der glorreiche Idee verführen, zu Zweit ein Buch zu verfassen, den Austausch zu suchen. Wenn man an die Zusammenarbeit bei Fruttero und Lucentini denkt, vermag dies durchaus literarische, wie kriminalistische Früchte zu tragen, aber zu oft entspringt dem Vorhaben eine weit weniger erfolgreicher Glücksfall für die Welt des Krimis.
O sole mio
Bei Carlotta/Videtta verebbt der rasant hereinbrechende Plot im Verlauf der Geschichte. Der Stil ist karg, aufs Wesentliche beschränkt, ohne einen eigenen Ton zu entwickeln. Klischees von zwielichtigen Gestalten, Übervätern, korrupter Industrie und organisiertem Verbrechen werden in Kauf genommen.
Die in der Badewanne ermordete Giovanna ist Rechtsanwältin, arbeitet ausgerechnet in der Kanzlei des verehrten zukünftigen Schwiegervaters, in der der Sohn nicht arbeiten darf, weil er sich erste Meriten verdienen soll, bevor er in die Schuhe des Vaters steigt. Wie er dies je bewerkstelligen soll, angesichts der Naivität, mit der er den Ereignissen gegenübertritt, gehört zu den holzschnittartigen Charakterisierungen der Figuren, die den Roman bevölkern. Zum Glück taucht die Schwester Carla auf, die vor Wut keucht, den Visentinis und Calchi Reniers unterstellt, sich keinen Skandal leisten zu können, den Mord am liebsten vertuschen würden, um Geschäfte mit Rumänien nicht zu gefährden. Natürlich darf auch eine geheimnisvolle Contessa nicht fehlen, der der abschließende, bedeutende Satz bleibt:
"Ich bin mir sicher, dass sich alles aufklären wird. Es ist nur eine Frage der Zeit."
Gut gebrüllt. Wahrscheinlich beabsichtigten die Autoren an dieser Stelle, ihrem Zynismus Ausdruck zu verleihen.
Ehefrau/Hure/Rechtsanwältin
Es geht um eine Liebe, bei der einer erwacht und feststellen muss, dass nicht nur seine zukünftige Braut ermordet wurde, vielmehr er selber unter Verdacht gerät. Es geht um ein lang zurück liegendes Verbrechen, bei dem Alvise Barovier Hab und Gut verlor, um Platz für eine Giftmülldeponie zu schaffen. Der Betrogene entzieht sich der Justiz, flieht nach Argentinien, und ist just der Vater der Ermordeten, die offensichtlich Beweise für seine Unschuld sammelte, was sie das Leben kostete.
Am Ende sehen wir uns bestätigt. So geht es halt zu in Italien, sagt man sich, wenn man die letzten Seiten erschüttert darüber gelesen hat, dass all die Geschichten stimmen, die wir uns über Italien zurechtgelegt haben. Ein Roman wie dafür geschaffen ihn an der Adria am Strand zu lesen, bevor wir aus der Mittaghitze aufstehen, um im Schatten Pasta zu bestellen.
Nur leider ist jede Reportage im Auslandsjournal spannender, bunter, lebendiger, als das Bemühen zweier Autoren etwas Schmissiges zu Papier zu bringen und Sozialkritik zu üben.
Massimo Carlotto, Tropen
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