Gottes Mühlen
- Conte
- Erschienen: Januar 2007
- 4
- Saarbrücken: Conte, 2007, Seiten: 181, Originalsprache
... mahlen langsam, aber gerecht
"Der Wald rückte immer näher. Schritt für Schritt fühlte sie sich freier, unbeschwert. Das Dorf lag weit hinter ihr. Fast widerwillig drehte sie sich um. Durch den herbstlichen Dunst stach eine milchige Nachmittagssonne und ließ die Silhouette der Häuser ein wenig zittern. Der spitze Kirchturm ragte frech aus dem sonnendurchfluteten Nebelfeld. Das Dorf auf dem Hügel schien zu schweben.
Wie ein Traumbild, dachte Erna Kowalski, und eigentlich wunderschön."
Da schwebt mit dem 1. Absatz eine "Amateurin" auf einem prosaischen Level von Siegfried Lenz und Erwin Strittmatter, und es gelingt ihr mit ganz zarten Adjektiven, bereits im ersten Absatz eine großartige Stimmung und Gefühlswelt aufzubauen.
Die Autorin heißt Lilo Beil - ein Nachname, der zur Krimischriftstellerei (vgl. Karin Slaughter, allerdings als Pseudonym!!) geradezu prädestiniert zu seien scheint! Aber Lilo B. ist eine leise, atmosphärische, fernab vom Blut triefenden Thrill.
Die Autorin ist in der glücklichen Lage, als verbeamtete (?) Lehrerin - Hauptfächer vermutlich Deutsch, Geschichte oder Geografie - d. h. aus finanziell (und auch zeitlich!) abgesicherter Position en passe' noch Bücher schreiben zu können. Und die hält der Saarbrücker Conte-Verlag für würdig, um veröffentlicht zu werden! Das wiederum sicherlich nicht nur zum Glück für die rheinländische Leserschaft.
Mit "Gottes Mühlen" liefert uns Lilo Beil einen so genannten Regionalkrimi ab, der im südpfälzischen nahe der französischen Grenze spielt.
Hier ticken die Uhren zwölf Jahre nach endgültigem Schlussstrich zum Tausendjährigen Reich noch etwas behäbiger.
Erna Kowalski ist eine Vertriebene, eine ostpreußische Flüchtlingsfrau, mittlerweile im fünften Lebensjahrzehnt. Im Winter 1944 musste sie mit den Kindern und dem Großvater die vertraute masurische Heimat verlassen.
Gestrandet ist sie letztendlich allein in Pfaffenbronn, wo sie seit sieben Jahren lebt und sich immer noch nicht heimisch fühlt.
Lilo Beil entführt uns ins herbstliche pfälzische Ländle Mitte der fünfziger Jahre, wo die Zeit wenig verändert hat am traditionellen Tagesablauf der einheimischen Weinbauern, die konzentriert mitten in der Vorbereitung für eine gute Weinernte stehen. Aber diese ländliche Idylle wird plötzlich und unerwartet durch schlimme Dinge durcheinander gewirbelt.
Erna Kowalski und der Beginn des Rufmordes
Beim Pilze sammeln entdeckt Erna Kowalski per Zufall die Leiche der erdrosselten zwölfjährigen Evi von Sutterer.
Schnell ist von den tratschenden Bäuerinnen ein Hauptverdächtiger ausgemacht: Der alte Eigenbrötler Otto Straub, 45 Jahre alt und Knecht beim reichsten Bauern im Ort. Straub ist ein "Wackes", ein zu gezogener Elsässer, also ein "Ausländer", Bücherleser und Vogelforscher noch dazu. Er wurde mit Evi und ihrer Freundin, der Pfarrerstochter Ruth Aichner häufig von der heimischen Dorfbevölkerung gemeinsam gesichtet bei irgendwelchen (garantiert scheinheiligen!) Naturbeobachtungen in den Wäldern und Feldern rund um Pfaffenbronn. Für die Klatschbasen im Dorf ist der Fall sonnenklar: fiese Verführung mit Kindesmissbrauch und anschließender Ermordung des armen Mädchens, basta!
Kriminalkommissar Friedrich Gontard wird von seinem vorgesetzten Chef Göttmann, der sein forsches Auftreten in der damaligen Waffen-SS mit Erfolg in den bundesdeutschen Kriminaldienst gerettet hat, zur Klärung des Falles abgestellt. Gontard selbst ist von seinen schlimmen Erlebnissen innerhalb der Wehrmacht psychisch immer noch geschädigt. Aus gutbürgerlichem Hause kommend haben seine belesenen Eltern ihm in Bewunderung des großen Dichters Hölderlin dessen Vornamen gegeben. Als gut aussehender Mittdreißiger hat er es nicht leicht bei der Klärung des Falles, denn Frankfurt liegt rechts des Rheines und denen trauen die Pfaffenbronnern ohnehin nicht viel zu.
Bevor Gontard so richtig seine Koffer auspacken kann, nimmt die Hetzkampagne ihren unausweichlichen Lauf.
Die Folge ist erschütternd, denn Otto Straub, der zugezogene Elsässer, der nicht hier her Gehörende, wird erhängt aufgefunden. Handschriftlich bekennt er seine Schuld.
Schon schnell stellt Gontard bei seinen Ermittlungen fest, dass Evi keines Sexualmordes zum Opfer fiel, das Bekennerschreiben des erhängten Otto Straub von fremder Hand geschrieben wurde und dieser bereits vor der Strangulation tot war.
Aber wer hat das Mädchen umgebracht, und wem fiel Otto Straub zum Opfer? Und woher hatte der Knecht das viele Geld, um sich die teuren Bücher über Vogelkunde leisten zu können? Existiert ein verborgener Zusammenhang zwischen beiden Mordtaten?
Kriminalkommissar Friedrich Gontard entlockt Ruth das Geständnis, von ihrer Freundin Evi am Tage ihrer Ermordung ein Geheimnis überreicht bekommen zu haben, ein aus Straubs Album heraus gerissenes Foto mit vier Personen, aufgenommen in einem nahe gelegenen Konzentrationslager, indem der Erhängte offenbar selbst als Häftling gefangen gehalten wurde. Wer waren die vier Personen, "das freundliche Struthof-Personal" auf dem Foto aus dem Jahre 1943? Ist das der Schlüssel zur Klärung des Falles?
Starke Stärken, zu viele Schwächen
Lilo Beil führt den aufmerksamen Leser mehrfach in die Irre, indem sie innerhalb der fortlaufenden Rahmenhandlung auf Indizien hinweist, die förmlich zu vorzeitigen Schlussfolgerungen verführen und sich dann doch als falsch erweisen.
"Gottes Mühlen" ist im Grunde ein whodonit, und Pfaffenbronn ist nicht viel größer als die Handlungsspielräume bei A. Christie oder J.D. Carr. Das hält den Fall für die Leserschaft übersichtlich beieinander.
Gottes Mühlen" ist beileibe kein Thrill. Es ist vielmehr deutsche Sprachkultur und Atmosphäre, bodenständige Literatur vom Feinsten. Die "bäurischen Hinterwäldler" und neureichen Pfaffenbronner werden zwar schön skurril und bildhaft dargestellt, aber der oben zitierte sprachlich schöne Einstiegslevel kann leider nicht beibehalten werden.
Ebenso baut sich der Spannungsbogen nur schwerlich auf. Es plätschert Vieles sprachlich schön dahin, ohne kriminell so richtig zu begeistern oder gar vom Hocker zu hauen. Es fehlt trotz der drei unnatürlichen Todesfälle ganz einfach der böse Biss.
Die Mystik und Aufklärung um das Foto mit den vier Personen vom Struthof wirkt sehr unrealistisch aufgesetzt und es braucht schon eine gehörige Portion Phantasie, um den Plot als glaubwürdig und nachvollziehbar zu akzeptieren.
Auch ist es - zu mindestens für "Ossis" nur schwer nachvollziehbar, dass in diesem Regionalkrimi, der zeitlich 1957 angesiedelt ist, so erstaunlich viele Personen in bedeutender Stellung und Reputation den nationalsozialistischen Idealen nachhängen, ja, sie weiterhin unter dem Deckmäntelchen der Halboffensichtlichkeit vertreten!
Vieles aus der Historie gewachsenes ist für den Leser fernab des Saarlandes nur schwerlich nachvollziehbar. Immer wieder nachgepiekt wird in den kleine aber feinen Unterschieden, Gemeinsam- und Widersprüchlichkeiten der links und rechts des Stromes lebenden Rheinländer, der deutschen Pfälzer und französischen Elsässer und deren Befindlichkeiten.
Das strengt an und wird auf Dauer ebenso nervend wie die hartnäckigen Rückblicke in die letzten Kriegsjahre mit all' ihren grausamen Verbrechen und den ständigen Hinweisen auf die daraus resultierenden psychisch Entwurzelten, die in dieser Generation hinterlassen wurden.
Dennoch muss man dem Conte-Verlag Saarbrücken und seinen Autoren anerkennend sagen, mit solchen Veröffentlichungen (vgl. J. Amila: "Mitleid mit den Ratten") dem aus historischer Sicht brisanten deutsch-französische Grenzland immer wieder eine interessante literarische Plattform zu bieten und so diese konfliktreiche Gegend auf Dauer zu verewigen.
Lilo Beil, Conte
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