Der Tee der drei alten Damen
- Erschienen: Januar 1940
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Wachtmeister Studer verheiratet seine Tochter in die Ostschweiz. Da geschieht ein Mord, der den Fahnder in die fremden Verhältnisse eines Appenzeller Dorfes hineinzieht. Plötzlich nimmt die provinziell scheinende Angelegenheit internationale Züge an.
Schundroman mit Hintergründen
Der Kriminalroman war in den frühen 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts im deutschen Sprachraum allgemein nicht als Literatur angesehen. Zwar gab es aus dem Ausland bereits zahlreiche Krimis in deutscher Sprache, die sich auch sehr erfolgreich verkauften, aber deutschsprachige Autoren bangten um ihren Ruf und wollten sich nicht auf das Niveau des Schundromans herab begeben. Glauser sieht das im "Tee der drei alten Damen" anders: "Spotten sie nicht über Kriminalromane!" sagte Madge streng. "Sie sind das einzige Mittel, vernünftige Ideen zu popularisieren."" (S. 127)
Friedrich Glauser war zu diesem Zeitpunkt ganz unten. Morphiumsüchtig, mittellos, schlug sich mit Aushilfsjobs durch und brauchte dringend Geld. Die guten Verkaufszahlen der ausländischen Kriminalromane schienen ihn zu ermutigen, sich selbst einmal an einem solchen zu versuchen. Neben diversen Erzählungen hatte er bislang lediglich einen Roman über seine Zeit bei der Fremdenlegion geschrieben, für den er allerdings bisher keinen Verlag gefunden hatte. Ein neuer Anlauf.
Den "Tee der drei alten Damen" lässt Glauser in Genf spielen. Selber lebte er einige Jahre in dieser Stadt, besser gesagt in den Heilanstalten und Irrenhäusern dieser Stadt. Aber er war offenbar ein sehr aufnahmefähiger Mensch, kannte das Stadtgespräch, die Politik und die Kulturszene. Unter dem Eindruck des Völkerbundes, der nach dem ersten Weltkrieg seinen Hauptsitz in Genf hatte, mischte Glauser in diesem ersten deutschen Kriminalroman sein ganz eigenes Giftsüppchen aus Spionage, Parapsychologie, Geldgier, Okkultismus und Kräuterkunde.
Ein junger Mann wird mit Anzeichen einer Vergiftung spätnachts auf einem Platz im Herzen Genfs gefunden. Im Spital stirbt er kurz darauf. Nur wenige Tage später stirbt ein Apotheker ebenfalls an einer Vergiftung. Im Verdacht steht ein prominenter Professor, der in der Stadt viel Ruhm genießt, jedoch seit einiger Zeit auch morphiumsüchtig ist. Zu beiden Toten hielt er engen Kontakt. Simpson O'Key, Agent der britischen Krone, mischt sich, getarnt als Zeitungsreporter, in die Ermittlungen der Polizei ein. Bald schon findet er heraus, dass ein Maharadscha eines indischen Randstaates in Genf ist, um seine Ölquellen zu verkaufen. Die Verträge mit den Engländern scheinen schon aufgesetzt zu sein, aber auch die Russen haben Interesse. Und er hört Gerüchte über drei alte Damen, die Männer zum Tee einladen.
Die große Stärke Glausers ist es, Situationen mit wenigen Worten authentisch wirken zu lassen. Seine Sprache ist aus heutiger Sicht ein wenig antiquiert, dennoch gut lesbar und stimmungsvoll. Bei Gesprächen konzentriert sich Glauser nicht auf die wörtliche Rede, sondern lässt nicht ab, die Situation drum herum zu beschreiben. Im Lokal springt ein Ober dazwischen, in großer Runde gibt es Bemerkungen, die geflüstert werden und wenn ein junges Liebespaar auf einer Wiese liegt und die Frau über Politik und Verbrechen redet, dann wirkt wenigstens der junge Mann noch immer ganz verträumt und denkt viel lieber an den weichen Busen, an den er seinen Kopf gerade lehnt. In der Handlung legt er sehr subtil seine Fährten, er bedient sich eines rückblickenden Erzählers, der außerhalb der Handlung steht. (z.B. "Es wäre noch kurz von zwei Begegnungen zu berichten..." S. 151)
Glauser schrieb über drei Jahre an diesem Roman und verarbeitete gewiss eine große Portion seines eigenen Elends hierin. Die faszinierende, halluzigene Wirkung von Giften und Rauschmitteln, übersinnliche Wahrnehmungen und Parapsychologie einerseits, das Scheitern seiner Liebe zu Beatrix Gutekunst andererseits: Im Roman werden zweimal schwache Männer von starken Frauen verlassen. Zum anderen verarbeitet er Tratsch und Klatsch seiner Zeit und spielt mit seinen Romanfiguren auf Berühmtheiten aus dem Genfer Stadtgespräch der frühen 20er Jahre an. Selber beschreibt er den "Tee der drei alten Damen" einmal als Schundroman mit Hintergründen. So verwundert es wohl auch nicht, dass die Kriminalgeschichte selber leider nicht so spannend gestrickt ist und die Verstrickung dreier alter Damen in die Handlung ein wenig an den Haaren herbeigezogen wirkt. So ist Glausers erster Kriminalroman sicherlich noch nicht als großer Wurf, wohl aber als gefällige Lektüre zu bezeichnen.
Zu Lebzeiten fand Glauser auch für diesen Roman keinen Verlag. Erst 1941 wurde das Werk posthum und unter starker redaktioneller Nachbearbeitung veröffentlicht. Die heute im Unionsverlag vorliegende Ausgabe basiert im wesentlichen auf den beiden Originalmanuskripten Glausers. Sie enthält zudem ein 30-seitiges Nachwort und über 40 Seiten Anhang und editorischen Bericht, wodurch einige Randbemerkungen seiner Figuren sich als geschickt platzierte, kritische Anspielungen auf die Genfer Gesellschaft der 20er Jahre enttarnt werden.
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