Die stumme Patientin
- Droemer
- Erschienen: Mai 2019
- 5
Warum nur will er sie zum Reden bringen?
Die Malerin Alicia Berenson hat ohne ersichtlichen Grund ihren Ehemann Gabriel brutal umgebracht. Seitdem sitzt sie in der geschlossenen Abteilung einer psychiatrischen Anstalt ohne ein Wort zu sprechen. Ihr neuer Psychotherapeut, Theo Faber, setzt alles daran, sie wieder zum Reden zu bewegen.
Das Erstlingswerk des Autors Alex Michaelides wird nicht nur auf dem Lese-Exemplar über den Klee gelobt. So etwas macht mich generell stutzig.
Spannung wird durch Wendungen erzeugt
Zwar packt die Geschichte den Leser nach den ersten Seiten, aber es ist auch von Anfang an klar, dass Alicia und niemand sonst ihren Mann getötet hat. Die Frage ist also nicht das Wer, sondern das Warum. Der Weg zur Lösung ist weit und manchmal auch langatmig. Hier macht sich bemerkbar, dass der Autor selbst als Psychotherapeut in einer geschlossenen Abteilung tätig war.
Immer wieder fließt theoretisches Wissen ein oder werden Therapien erklärt. Das nimmt ein bisschen den Schwung aus der Geschichte, die ansonsten ihre Spannung aus Wendungen generiert. Dem Leser wird in Zwiebeltaktik immer mehr Information zum Umfeld des Ehepaares Berenson gegeben. Nicht alles ist so, wie es scheint. Und schnell wird auch klar, dass mit Alicias Therapeut Theo Faber etwas nicht stimmen kann. Er ist besessen von Alicias Schweigen und will mit allen Mitteln versuchen sie zum Reden zu bringen.
Dabei werden seine privaten Probleme so ausführlich dargelegt, dass der Bezug zum Mordfall einfach zu offensichtlich ist. Trotz dieser Ahnung und den immer neuen Erkenntnissen, was im Vorfeld der Tat geschah, ist die Lösung und vor allem der Grund für den brutalen Mord nicht vorhersehbar und überraschend. Und der verdutzte Leser fragt sich verwirrt, warum nur war Theo so versessen darauf Kontakt zu Alicia aufzunehmen und ihr Schweigen zu brechen? Da fehlt der Handlung einfach die Logik.
Alle verbergen etwas
Egal welchen Charakter man betrachtet, alle verbergen etwas. Keiner ist wirklich sympathisch und spielt mit offenen Karten. Zwar muss eine Geschichte nicht vor netten Menschen strotzen, aber die ein oder andere freundliche Person erleichtert, zumindest mir, den Einstieg in das Erzählte. So bleibe ich lediglich ein beobachtender Leser ohne Empathie oder dem Willen mit einer Person mitzufiebern. Selbst Alicia, die selbst ein Opfer ihrer Tat ist, wird sie doch mit Psychopharmaka vollgestopft und verbringt ihr Leben stumm und ohne Perspektive, lässt kein Mitleid aufkommen. Und so denkt man sich am Schluss – wusste ich es doch, alle haben Dreck am Stecken!
Dennoch – die Charaktere sind gut beschrieben. Die Hauptakteure, Theo und Alicia, erzählen die Geschichte aus ihrer Sicht und geben damit genügend Details über sich Preis. Alicias Tagebuch lässt den Leser teilhaben an der Zeit vor dem Mord, an ihrem Leben als Künstlerin und Ehefrau. Sie ist eine verletzte Seele, die einfach nicht zur Ruhe kommt.
Theo erzählt den Hauptanteil der Geschichte aus der Ich-Perspektive. Auch ihn lernen die Leser als einen Menschen mit schwieriger Vergangenheit kennen, der Sicherheit in seiner Ehe und seiner Arbeit sucht. Auch alle anderen Personen beschreibt Michaelides so treffend, dass man sie sich gut vorstellen kann. Sie sind halt alle Unsympathen!
Fazit:
Die Erwartungen sind hoch bei einem Buch, das schon mancherorts als „Spannungsbestseller des Jahres“ betitelt wird. Umso tiefer kann die Enttäuschung sein, wenn dem nicht so ist. Ich bin nicht maßlos enttäuscht, aber ich hatte mir mehr versprochen. Der Plot ist durchdacht, die gut dosierten Wendungen wohl platziert - und dennoch war es kein Pageturner. Die Protagonisten haben mich zu sehr auf Abstand gehalten, die Hinweise auf Theos private Probleme waren zu deutlich und Alicias Schweigen war streckenweise nicht nachvollziehbar. Mit dem Wissen um die Lösung der Geschichte, frage ich mich – warum das Ganze? Zwar weiß der Leser nun, wie alles zusammen hängt, aber logisch ist etwas anderes!
Wenn man sich nicht von den Lobeshymnen zu überzogenen Erwartungen hinreißen lässt, ist „Die stumme Patientin“ ein einfach zu lesender, spannender Thriller, der Überraschungen bereit hält und Spaß macht – nur nach dem Sinn sollte man nicht fragen.
Alex Michaelides, Droemer
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