Zoff in der Rue de Rosiers / Spur ins Ghetto
- Elster
- Erschienen: Januar 1986
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- Paris: R. Laffont, 1958, Titel: '4. Arrondissement: Du Rebecca rue des Rosiers', Seiten: 231, Originalsprache
- Moos; Baden-Baden: Elster, 1986, Titel: 'Spur ins Ghetto', Seiten: 199, Übersetzt: Hans-Joachim Hartstein
- Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1990, Titel: 'Spur ins Ghetto', Seiten: 199
- Heilbronn: Distel, 2011, Seiten: 200, Übersetzt: Katarina Grän
One night in Paris Is like a year in any other place
Privatdetektiv Nestor Burma ist ein freundlicher Mensch. Er kümmert sich um seine Freunde, er verträgt sich meist mit der Polizei und hat auch keine Skrupel für einen Zuhälter zu arbeiten, wenn es der Fall erlaubt.
Bei dem Freund, bzw. Trinkgenossen, handelt es sich um den Maler Fred Baget, "ein "sehr pariserischer" Maler, wie man so sagt", in dessen Atelier nach einer rauschenden Party ein weiblicher Gast tot zurückbleibt. Rachel Blum, eine junge jüdische Frau, wurde anscheinend auf der Straße erstochen, schaffte es zurück ins Atelier, um dort an einer Messerwunde zu verbluten. Unbemerkt von den anderen Partygästen und dem Gastgeber. Nachdem er die Polizei eingeschaltet hat, nimmt sich Burma auf Wunsch Bagets des Falls an.
So begibt sich Burma tief ins Herz des 4. Arondissements, betritt eine Welt der Kaufleute und Handwerker, aber auch der Prostitution und wachsamen Kriminellen. Er begegnet Rachels Verwandten und lässt sich, fast freiwillig, zum Handlanger eines Zuhälters machen. Bald wird klar, dass Rachels Tod komplexere Hintergründe besitzt, als es auf den ersten Blick scheint. Die Hintergründe reichen bis zu Geschehnissen im besetzten Frankreich, Burma stochert in einem Wespennest herum und heraus stieben Kollaboration, Verrat, organisiertes Verbrechen und Menschen, mit der anscheinend unstillbaren Gier nach Rache für vergangenes und immer noch präsentes Leid. So nimmt es fast Wunder, dass er am Ende mit ein paar blauen Flecken davonkommt.
Man darf sich vom lockeren, leichten Ton Leo Malets nicht täuschen lassen. Die Geschichte, die Zoff in der Rue des Rosiers behandelt, ist todtraurig und tiefernst. Nicht umsonst endet der Roman mit einer Aufzählung jener Stätten des ultimativen Schreckens, die das zwanzigste Jahrhundert gebar, bevor der Protagonist in der Nacht untertaucht. "Auschwitz, Buchenwald, Bergen Belsen, Mauthausen&".
Nestor Burma hat seine Aufgabe erledigt, etwas überhastet im Finale vielleicht, aber der Skandal um den Maler Baget blieb aus, Mörder wurden entlarvt und gestellt, und das ein oder andere Opfer gesühnt. Kriminelle und Racheengel ziehen sich zurück, und die Polizei sorgt für Ordnung. Vorerst. Denn Burma weiß genau, die Welt ist im Umbruch, den er als Zeuge so gewitzt wie mit umwerfendem, klarsichtigem Humor kommentiert.
Hier ist er ein naher Verwandter seiner amerikanischen Kollegen Philip Marlowe, Sam Spade oder Lew Archer. Lakonischer Witz ist eine bewährte Methode, um der Hölle wenigstens einen Stachel zu ziehen. Hält zwar nicht lange vor, doch bis dahin hat man wenigstens etwas Spaß gehabt. In anderer Hinsicht entfernt er sich ziemlich weit von den hartgesottenen Ermittlern angelsächsischer Schule. Burma hat keinen Stress mit der Polizei, er versteht es wesentlich besser sich mit den Umständen und seinen Mitmenschen zu arrangieren. Charme und entgegenkommendes Laissez faire sorgen für eine Position, von der aus es sich ungestört ermitteln lässt. Und wenn halt Zuhälter dein Auftraggeber werden, warum nicht, man kann ja am Ende schauen, was dabei herauskommt. Nestor Burma geht davon aus, dass er irgendetwas gewinnen wird; sei es einem Freund geholfen zu haben, Erkenntnis oder schlicht dort überlebt zu haben, wo andere zu Todesopfern wurden. Vielleicht auch die Aussicht auf ein wenig Geld zu verdienen&
Über 50 Jahre hat Zoff in der Rue des Rosiers auf dem Buckel und ist doch kaum gealtert. Burmas Äußerungen zur Medienkultur sind ebenso unterhaltend wie immer noch treffend (als hätte er "Derrick" vorausgeahnt), sein analytisch-ironisches Spiel mit politischer (Un)korrektheit ist Jahrzehnte voraus, und ihm reicht ein Absatz, um Fundamentalismus zu demontieren. In seinen Augen überflüssiger, fanatischer und überhaupt strunzdummer Schwachsinn.
Höchst unterhaltsam, spannend, klug und triefend von so perfider wie treffender Alltagskomik, mit genau jenem Hauch Arroganz, der die Wissenden von den Unwissenden zu trennen vermag. Nestor Burma und sein Autor lassen nichts anbrennen, und es macht auch 55 Jahre nach dem Niederschreiben ein Riesenvergnügen, dem Detektiven auf seinen zahlreichen Exkursionen durch das vierte Arrondissement zu folgen.
Léo Malet, Elster
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