40 Tage Nacht
- Droemer
- Erschienen: Januar 2015
- 4
- München: Droemer, 2015, Seiten: 496, Übersetzt: Elsbeth Ranke
- Paris: Editions Métailié, 2012, Titel: 'Le dernier lapon', Originalsprache
Trommeln, Rentiere und ein tödliches Geheimnis
Klemet Nango und Nina Nansen gehören der so genannten Rentierpolizei an. Über die Grenzen der Nationalstaaten hinweg kümmern sie sich um Streitereien zwischen den Rentierzüchtern und sorgen in Lappland für Ordnung. Als aus einem privaten Museum in Kautokeino – ein Städtchen im norwegischen Teil der Finnmark – eine samische Trommel entwendet wird, gibt es großen Aufruhr, und einen schwierigen Fall für Klemet und Nina. Wegen einer bevorstehenden UN-Konferenz im Land schlägt der Vorfall Wellen bis in höchste politische Kreise. Dann wird auch noch ein Züchter auf der Tundra ermordet – unter höchst merkwürdigen Umständen. Klemet stammt selbst aus einer samischen Familie, was ihm bei diesen beiden speziellen Fällen noch mehr als sonst von Nutzen ist. Hinderlich sind dagegen vorgesetzte Behörden, die mehrfach störend in die Ermittlungen eingreifen. Klemet und Nina bleiben dennoch hartnäckig am Ball und finden Hinweise auf lange zurückliegende Ereignisse, die mit der verschwundenen Trommel und einem mit ihr verbundenen tödlichen Geheimnis zu tun haben.
Sprache und Kultur der Samen im Blickpunkt
Olivier Truc ist seit zwei Jahrzehnten als französischer Journalist in Skandinavien unterwegs. In dieser Zeit hat er offenbar eine große Zuneigung zum Volk der Samen - in Deutschland eher als Lappen bekannt - gefasst. Sprache und vor allem Kultur der Samen spielen jedenfalls in seinem ersten Thriller eine mehr als zentrale Rolle. Ob man - wie der Droemer-Verlag im Klappentext - gleich von einem literarischen Denkmal für dieses indigene Volk sprechen soll, lasse ich mal unkommentiert. Eine weitere "Hauptrolle" spielt der nordische Winter mit seiner klirrenden Kälte, die Hirten, Polizisten und allen Bewohnern des Landes zu schaffen macht, und die Lebensweise diktiert. Dauerhaft zweistellige Minusgrade sind das eine - die 40 Tage dauernde Polarnacht das andere. Jeweils am 11. Januar ist die vollständige Dunkelheit zu Ende, allerdings zunächst nur für kurze 27 Minuten. Erst dann werde die Tage in ordentlichen Sprüngen immer länger.
Diebstahl der samischen Trommel ist ein Politikum
Kautokeino ist mit 9700 Quadratkilometern die größte Kommune in Norwegen, aber angesichts der nur 2900 Einwohner praktisch menschenleer. Jedenfalls wird die Bevölkerungsdichte mit Null Einwohnern pro Quadratkilometer angegeben. Die zwei äußerst seltenen Straftaten sorgen also für ordentlichen Wirbel in der beschaulichen Idylle. Der Diebstahl der samischen Trommel ist ein Politikum, denn diese Trommeln wurden von christlichen Priestern und Fanatikern sei mehreren Hundert Jahren gesucht und dann zerstört, um die Samen zum christlichen Glauben zu zwingen. Die nun entwendete war die erste, die aus dem Ausland nach Lappland zurück gebracht wurde. Die bevorstehende UN-Konferenz sorgt für zusätzlichen politischen Druck auf die Ermittler. Als dann auch noch einer der Rentierzüchter in seinem Gumpi - einer primitiven Unterkunft auf der Tundra - ermordet aufgefunden wird, glaubt zunächst keiner der Polizisten an einen Zusammenhang. Es ist auch eher ungewöhnlich, dass die Rentierpolizei an den Ermittlungen beteiligt wird, was ihre Fähigkeiten in den Augen der anderen Polizisten deutlich übersteigt.
Ermittler mit Fingerspitzengefühl und Spürsinn
Klemet Nango und Nina Nansen sind ein höchst ungewöhnliches Ermittler-Paar. Klemet ist selbst ein Same, und hat sich nach seiner Dienstzeit in Stockholm in der Heimat mit dem Dienst beim Beaufsichtigen der Rentierzüchter und ihrer Herden arrangiert. Nina stammt aus Süd-Norwegen, und ist frisch aus der Ausbildung nach Lappland gekommen. Die beiden ergänzen sich hervorragend, und zeigen viel Fingerspitzengefühl und Spürsinn bei der Lösung des mehr als komplizierten Rätsels um Trommel-Diebstahl und Züchter-Mord. 40 Tage Nacht ist ein wirklich ungewöhnlicher Roman. Immerhin zeigt sich ein französischer Journalist als ausgezeichnet informiert über die nördlichsten Regionen Norwegens, Finnlands und Schwedens, wo die Grenzen der Nationalstaaten nur eine untergeordnete Rolle spielen. Truc schreibt über Leben und Kultur der Samen, als sei er dort aufgewachsen – ausgezeichnet recherchierte Hintergrund-Fakten werden hier präsentiert.
Ein lesenswerter und unterhaltsamer Roman
Sprachlich ist der Roman zwar eher durchschnittlich, aber der Autor vermittelt seinen Lesern immens viel Wissen, verpackt in eine spannende Kriminalgeschichte. Die Rentierpolizei als Schlichtungsinstanz für die Streitereien unter den verstreut lebenden Rentier-Züchtern gibt es tatsächlich. Die eigensinnigen Hirten genießen selbst im 21. Jahrhundert noch einen hohen Status in der gesellschaftlichen Hierarchie der Samen. Aber radikale Kräfte, die es auch im sozialstaatlich geprägten Skandinavien gibt, machen den Ureinwohnern das Leben schwer. Im Gegensatz dazu funktioniert die Länder-übergreifende Zusammenarbeit der Rentierpolizei auf dem samischen Territorium vollkommen reibungslos. Olivier Truc hat hier einen lesenswerten und unterhaltsamen Roman vorgelegt, der auf seinen knapp 500 Seiten keine Langeweile aufkommen lässt.
Olivier Truc, Droemer
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