Die wilden Bestien von Wuhan
- Kein & Aber
- Erschienen: Januar 2013
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- Toronto: Spiderline, 2012, Titel: 'The wild beast of Wuhan', Seiten: 340, Originalsprache
- Zürich: Kein & Aber, 2013, Seiten: 312, Übersetzt: Simone Jakob
Kalt wie Chrom
Wirtschaftskriminalität ist ein eher seltenes Sujet in Krimis. "White Collar" Verbrechen sind, abgesehen von den Geldsummen, unspektakulär, weil sie sich vorwiegend auf dem Papier abspielen und es sich um komplizierte Vorgänge handelt. Ein schwieriger Stoff für Thriller. Der Kanadier Ian Hamilton gehört zu den Autoren, die sich an das Unternehmen wagen. Seine "Ava Lee"-Reihe umfasst inzwischen sieben Bücher. In Deutschland ist jetzt der dritte Band Die wilden Bestien von Wuhan herausgekommen. Man braucht als Leser die vorherigen Bände nicht gelesen haben, alle wichtigen Fakten werden eingeflochten.
Die Protagonistin Ava Lee ist klein, zierlich, kampfsporterprobt und Wirtschaftsprüferin. Nebenbei übernimmt sie von ihrem Mentor und Arbeitgeber "Onkel" die Aufklärung von Fällen, die äußerste Diskretion und Kenntnis der asiatischen Mentalität erfordern. Ava Lee ist dafür die ideale Besetzung: als chinesische Kanadierin versteht sie die östliche und die westliche Denkweise und Befindlichkeit. Ihr dritter Fall, Die wilden Bestien von Wuhan, führt sie in die Kunstszene, die Welt der Maler, Kunstschätzer und -agenten.
"Ms. Lee, hinter ihrer glatten Fassade sind die meisten Kunstagenten profitgeile Ganoven, die ihre eigene Großmutter auf den Strich schicken würden, wenn nur der Preis stimmt."
Zusammen mit der Heldin lernen wir die Abläufe und Zusammenhänge dieses Wirtschaftszweiges kennen. Das ist eine der Stärken von Ian Hamilton: Er vermittelt in seinen Krimis komplizierte Sachverhalte leicht verständlich und unterhaltsam, ob es sich um Kunstfälscherei, Online-Gewinnspiele (Link Rezension) oder um Lebensmittelspekulation handelt. Ebenso gelingt es ihm, die asiatische Mentalität zu vermitteln und den Rassismus, dem selbst reiche und gebildete Asiaten im Kontakt mit "Westlern" begegnen.
Ava Lee ist kein weiblicher James Bond. Sie löst ihre Fälle nicht dank unglaubwürdiger Zufälle, genialer Einfälle und Gewalt. Ihre Waffen sind Bak Mei ("ein uralter, extrem gefährlicher Kampfsport") und ihr Verstand. Ava Lee ist eine moderne, starke Frau (wie die anderen Frauen in dem Buch), die vielen Klischees widerspricht: Sie ist keine unterwürfige Asiatin, keine gefühlsgesteuerte Frau und sie ist lesbisch.
Alles in Die wilden Bestien von Wuhan wirkt realistisch und glaubhaft. Das liegt auch daran, dass Ian Hamilton Orte und Personen so akkurat und detailliert beschreibt. Der vielgereiste Autor, der Reiseliteratur liebt, lässt seine Kenntnisse immer wieder einfließen. Ava Lee reist nach London, New York, Hongkong, Irland, Dänemark, Toronto, steigt in edlen Hotels ab, speist in Nobelrestaurants und stattet sich mit Luxusmarken aus. Die wilden Bestien von Wuhan klingt streckenweise wie ein Reiseführer oder ein Style-Magazin:
"Sie wählte sautierten Kaisergranat mit Krabbentortellini in Schellfisch-Bisque als Vorspeise und gebratene Streifenbrasse an getrüffeltem Kartoffelpüree als Hauptgang."
"Sie zog die Brook Brothers Bluse mit den grau-weißen Nadelstreifen, die schwarze Leinenhose und die High-Heels aus Alligatorleder an … und benutzte ihr Annick-Goutal-Parfüm. Dazu kamen die Cartier-Tank-Francaise Uhr und das Goldkreuz."
Mit seiner Detailfreude und seinem nüchternen Stil ähnelt Hamiltons Werk mehr einem Sachbuch als einem Krimi. Emotionalität und Humor muss ein Krimi nicht unbedingt haben, aber Spannung. Und (auch) daran mangelt es Ian Hamiltons Buch. Es gibt eine kurze Szene, in der die Heldin ihre Kampfkunst unter Beweis stellt, ansonsten besteht die Ermittlung aus Papierarbeit und Gesprächen. Zu spät, kurz vor Buchende, passiert etwas, dessen dramatisches Potential Hamilton leider kaum nutzt.
Zudem weckt der Buchtitel falsche Erwartungen. Die wilden Bestien von Wuhan ist ganz und gar nicht blutrünstig und gewalttätig, Titelgeber ist die Kunstrichtung der Fauvisten, der "Wilden". Hinter dem reißerischen Titel steckt ein undramatischer Wirtschaftskrimi, der so elegant, sachlich und kühl ist wie ein Designerstück aus Chrom – nicht jedermanns/fraus Geschmack.
Ian Hamilton, Kein & Aber
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