Am Abend des Mordes

  • Der Hörverlag
  • Erschienen: Januar 2012
  • 14
  • München: Der Hörverlag, 2012, Seiten: 6, Übersetzt: Dietmar Bär
Am Abend des Mordes
Am Abend des Mordes
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Jörg Kijanski
85°1001

Krimi-Couch Rezension vonJun 2012

Großes Kino

Inspektor Gunnar Barbarotti versucht wieder ins Berufsleben einzusteigen, nachdem er einen herben Schicksalsschlag zu verkraften hat. Kommissar Asunander bittet Barbarotti, den Fall "Morinder" zu untersuchen, doch warum lässt man ihn nicht gemeinsam mit seiner Kollegin Eva Backman den aktuellen Todesfall des rechtspopulistischen Stadtrates Fangström untersuchen? Dieser wurde offenbar vergiftet, ein politischer Hintergrund scheint nicht ausgeschlossen. Warum sich also mit dem vor rund fünf Jahren spurlos verschwundenen Morinder beschäftigen? Soll Barbarotti lediglich aus dem Verkehr gezogen werden, weil ihm Asunander noch keine richtige Arbeit zutraut?

 

"Aber nicht vergessen, er wird der Sache alleine nachgehen müssen. Ein oder zwei Wochen, damit er sich wieder einleben kann. Was denkt die Frau Inspektorin darüber?"
"Ich denke absolut nichts", erwiderte Eva Backman.
"Schön", sagte Asunander.

 

Notgedrungen fügt sich Barbarotti seinem Schicksal und wühlt sich durch die Akten. Schnell wird klar, dass die damaligen Ermittlungen alles andere als sauber verliefen. Morinder lebte zur Zeit seines Verschwindens mit Ellen Bjarnebo zusammen, die zuvor als "Schlächterin von Klein-Burma" eine zweifelhafte Berühmtheit erlangte. 1989 soll sie ihren damaligen Mann Harry Helgesson ermordet und anschließend zerstückelt haben. Sie gestand und ging für mehrere Jahre ins Gefängnis. Da die äußeren Umstände der beiden Fälle sich stark ähneln lag der Verdacht nahe, dass Ellen erneut gemordet hat. Mangels Leiche wurden die Ermittlungen jedoch schnell eingestellt. Ein klärendes Gespräch mit Ellen könnte Licht in die Angelegenheit bringen, doch die ist plötzlich spurlos verschwunden…

Am Abend des Mordes ist der fünfte Fall der Inspektor-Barbarotti-Serie, dessen Protagonist ein in Schweden ermittelnder Halbitaliener ist. Der neue Roman beginnt mit einem Paukenschlag für den sympathischen Inspektor, da seine geliebte Frau plötzlich stirbt und er nun alleine mit fünf "Kindern" zurückbleibt. Zwar war Barbarotti auf ein solches Szenario vorbereitet, dennoch trifft es ihn mit voller Wucht. Nur zögerlich gelingt ihm der Wiedereinstieg in den Job und dass er nur mit einem "cold case" beauftragt wird, macht die Sache nicht besser.

 

Barbarotti überlegte kurz, wie viele Dimensionen seine eigene Wirklichkeit momentan enthielt. Seinem Gefühl nach, nicht viel mehr als eine. Schräg abwärts.

 

Zunächst erkennt Barbarotti keinen Sinn in seinen Recherchen, denn der Fall aus dem Jahr 1989 erscheint klar. Ellen lebte mit Harry auf dem "Klein-Burma" genannten Hof zusammen. Harry war ein Tyrann gegenüber Frau und Sohn, vor allem nach exzessivem Alkoholgenuss. Eines Tages schlug Ellen zurück, zerstückelte die Leiche und verteilte diese im angrenzenden Waldgebiet. Nach einigen Monaten fand man die Leichenteile, worauf sie gestand. Alles ganz einfach, gäbe es da nicht immer wieder vereinzelte kleine Nadelstiche, die Barbarotti an der bekannten Version zweifeln ließen.

 

"Und genau das war das Problem im Fall Morinder. Diesmal schien es doch genauso glasklar zu sein. Der einzige Unterschied bestand im Grunde nur darin, dass sie kein Geständnis ablegte. Und natürlich darin, dass die Leiche fehlte."
"Ein ziemlich großer Unterschied."
"Zugegeben."

 

Der Plot wechselt zwischen den aktuellen Ereignissen und denen des Jahres 1989, so dass man langsam erfährt, was sich damals tatsächlich zugetragen hat. Der Fall "Morinder" aus 2007 rückt zunächst in den Hintergrund ebenso wie der Tod des Politikers Fangström. Wie beim Häuten einer Zwiebel wird Schicht für Schicht abgetragen, die Perspektive der Hauptfigur ständig gewechselt und somit ein hohes Maß an Spannung aufgebaut. Hakan Nesser möchte aber nicht nur mehrere Fälle aufklären, sondern seine Figuren mit Leben füllen. So werden die zahlreichen Personen ausführlich dargestellt, was den Lesefluss hinsichtlich des Spannungsbogens gelegentlich ein wenig zäh erscheinen lässt, andererseits den Plot auf eine literarische Ebene hebt, die in der Kriminalliteratur nicht alltäglich ist. Sollte sich aber jemand daran stoßen, dass Barbarotti immer wieder in (textintensive) Zwiegespräche mit seiner verstorbenen Frau oder gar dem Allmächtigen verfällt und sich über längere Passagen mit dem Tod beziehungsweise dem Umgang mit diesem beschäftigt, der greift besser gleich zu einem anderem Buch. Wer auf Action und Tempo aus ist, der wird hier nie auf seine Kosten kommen. Wer hingegen einen atmosphärisch dichten und anspruchsvollen Erzählstil bevorzugt, der darf sich auf die Geschichte gerne einlassen und sich auf den mitunter humorvollen Tonfall des Autors freuen.

 

Am Abend des Mordes

Håkan Nesser, Der Hörverlag

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