Todesritual
- Goldmann
- Erschienen: Januar 2012
- 3
- London: Sphere, 2011, Titel: 'Voodoo eyes', Seiten: 469, Originalsprache
- München: Goldmann, 2012, Seiten: 528, Übersetzt: Heike Steffen
Kuba: Faszinierend anders aber nie libre
Der ehemalige Polizist Max Mingus ist tief gefallen. Sieben Jahre hat er im Gefängnis gesessen. Jetzt muss er sich als Privatermittler in Miami durchschlagen und untreuen Ehepartnern hinterher schnüffeln. Diese traurige Routine wird durch den Mord an Eldon Burns unterbrochen. Der ehemalige stellvertretende Polizeipräsident war einst Mingus´ Chef und Ziehvater in der "Miami Task Force", die in den 1970er und 80er Jahren verdächtige Schwerverbrecher jagte und oft genug kurzerhand umlegte.
Offenbar wollte sich jemand an Burns und der MTF rächen, was sich bestätigt, als wenig später ein weiteres Ex-Mitglied ermordet wird. Joe Liston war Mingus´ bester Freund und hatte ihn kurz vor seinem Tod um Hilfe gebeten. Offenbar hat sich die ehemalige Bürgerrechtlerin Vanetta Brown auf einem Rachefeldzug begeben, bevor sie der Krebs tötet. Die MFT hatte 1968 im Rahmen einer Razzia das Hauptquartier der Organisation "Schwarze Jakobiner" gestürmt und dabei Browns Ehemann und Tochter erschossen. Sie selbst soll einen Polizisten getötet haben und wird seitdem vom FBI als "Terroristin" verfolgt. Brown konnte sich nach Kuba absetzen, wo ihr Fidel Castro Asyl gewährte, um die verhassten USA zu brüskieren.
Wendy Peck, die Tochter des umgekommenen Polizisten, ist aktuell beim Heimatschutz tätig. Sie will um jeden Preis Vergeltung für ihren Vater und zwingt Mingus unter Beugung des Gesetzes, sich ihr als Instrument zur Verfügung zu stellen. Er soll als Urlauber nach Kuba reisen, um dort Vanetta Brown zu suchen und in die Vereinigten Staaten zu verschleppen. Mingus sagt scheinbar zu, weil er den Mord an Joe Liston klären will.
Kuba ist eine Diktatur im Belagerungszustand. Das Regime lässt Mingus beschatten. Brown wird nicht nur von der Polizei und vom Geheimdienst, sondern auch von ehemaligen Bürgerrechtlern abgeschirmt, die ebenfalls nach Kuba flüchteten. Zu allem Überfluss muss Mingus feststellen, dass sich Brown mit der Abakuà eingelassen hat, einer Sekte, die in Kuba die Rolle der Mafia übernommen hat und vor der sich sogar Castros Schergen fürchten …
Marionette mit Strick um den Hals
Der ehrliche Polizist oder Privatdetektiv ist verloren aber standhaft in einer verdorbenen Welt. Für seine Prinzipien dankt ihm das Schicksal mit miserablen Einkünften, privater Einsamkeit und dem Groll der kriminellen Mächtigen, die ihn regelmäßig ermorden wollen oder ihn wenigstens ausgiebig verprügeln lassen. Der so malträtierte Ermittler wird zum Ritter, der seiner Herrin Justizia in guten (selten) und in schlechten (Normalzustand) Tagen die Treue hält.
Max Mingus gehört in die lange Reihe dieser Helden. Er ist ganz modern sogar besonders tragisch, weil er (scheinbar) gegen den Kodex verstoßen hat: Mingus war in jungen Polizei-Jahren Mitglied einer gesetzlich sanktionierten aber moralisch verkommenen Lynch-Truppe, die dreist Selbstjustiz praktizierte. Später nahm er 20 Mio. Dollar Drogengeld an sich, statt es der Polizei zu übergeben. Im Gefängnis hat er ebenfalls gesessen und es vorzeitig nur verlassen können, weil alte und nicht gerade unbescholtene Freunde im Hintergrund entsprechende Verbindungen spielen ließen.
Aber wir dürfen uns nicht täuschen lassen: Mingus ist durch seine Fehler erst recht zum Helden geworden – zu einem gefallenen und dadurch menschlichen Helden. Dem Vigilantentum hat er abgeschworen, das meiste Schwarzgeld wohltätigen Zwecken zugeführt. Er schläft schlecht, weil ihn trotzdem das Gewissen plagt. Tatsächlich wirkt er als ermittelnder Schmerzensmann ein wenig übertrieben, wenn ihm Autor Nick Stone quasi im Minutentakt einen neuen Knüppel zwischen die Beine wirft.
Ein neues Land, das alte Unrecht
Die ersten beiden Mingus-Romane spielten zentral auf der Insel Haiti. Die als Krimis aufgezogenen Geschichten dienten Stone der Darstellung eines Unrechts, das dem glücklicheren Rest der Welt unbekannt ist oder verdrängt wird. Haiti war und ist ein Land, in dem die Menschenrechte mit Füßen getreten werden. Was dies bedeutet, wusste Stone in Mr. Clarinet (dt. Voodoo) und The King of Swords (dt. Der Totenmeister) ebenso meisterhaft wie drastisch zu verdeutlichen.
Dennoch konnte ein dritter Mingus-Thriller wohl nicht mehr in Haiti spielen, ohne die Wahrscheinlichkeit allzu sehr zu strapazieren (oder die Leser – ein wankelmütiges Volk – zu langweilen). Auf einen moralischen Impetus mochte Stone jedoch nicht verzichten. Er richtete sein Augenmerk auf Kuba, ein weiterer karibischer Inselstaat, dessen Bürger einem Zwangsregime unterworfen sind. Diese Entscheidung birgt bereits den Keim einer Kritik: Stone scheint ein korruptes Regime gegen ein anderes zu tauschen und sich in Wiederholungen bekannter Anklagen zu erschöpfen. Zwar berücksichtigt er die politisch anders gelagerte Situation, schwelgt aber dessen ungeachtet in Schilderungen einschlägiger Übeltaten.
Das macht Stone allerdings mit der bekannten Mischung aus Anschaulichkeit und Unterhaltung, weshalb man ihm das Beharren auf vor allem ihm wichtige Themen verzeiht. Todesritual kann zudem mit einem Plot aufwarten, der dies rechtfertigt. Stone beschränkt sich keineswegs darauf, die Verbrechen des kubanischen Regimes anzuprangern. Er stellt ihnen die Machenschaften einer US-Politik gegenüber, die sich seit mehr als einem halben Jahrhundert darauf beschränkt, Kuba vom Rest der Welt zu isolieren und in den Ruin zu treiben.
Trauriger Mann in schmutziger Welt
Längst hat sich der Konflikt verselbstständigt. In Sachen schmutziger Tricks bleiben sich die USA und Kuba nichts schuldig. Stone beschreibt zwei in alten und veralteten Vorstellungen verkrustete Gegner, die stur fortsetzen, was sie einst vom Zaun gebrochen haben.
Aus der erträumten sozialistischen Muster-Republik Kuba ist ein Armenhaus geworden, dessen Regime sich nur durch Gewalt an der Macht halten kann. Allgegenwärtig sind Geheimpolizisten, Spitzel, Denunzianten, während die Infrastruktur vom Mangel als Normalzustand geprägt ist. Stone sieht keine Hoffnung auf bessere Zeiten: Sollte das Castro-Regime einmal die Flagge streichen, werden die USA und die übrige ´kapitalistische´ Welt umgehend dort anknüpfen, wo sie 1959 aufgrund der "revolución" einhalten mussten, Kuba mit den zweifelhaften Segnungen einer globalisierten Marktwirtschaft konfrontieren und dabei an sich bringen, was die verarmte Bevölkerung nicht halten können wird.
Stone schickt Mingus auf eine lange Autofahrt über staubige Inselstraßen und versucht dabei eine Bestandsaufnahme. Dabei kommt er zu dem Schluss, dass Kuba sich in einer Endzeit befindet. Es muss und wird sich Grundlegendes ändern, doch Grund zum Optimismus gibt es (s.o.) nicht.
Verbrechen als Frage der Definition
Stone nimmt sich Zeit, die Probleme Kubas darzustellen. Der ursprüngliche Plot scheint dabei mehrfach in den Hintergrund zu geraten. "Todesritual ist kein Krimi oder Thriller für Genre-Puristen. Das Verbrechen wuchert für Stone stets dort am üppigsten, wo es instrumentalisiert wird. Also postuliert er auch in den sich vordergründig musterdemokratisch gebenden USA Behörden, Geheimdienste und sogar Todesschwadronen, die mit der verschleierten Billigung einer lobbyistisch unterwanderten Politik lästige ´Gegner´ ausschalten, wobei Drogenbarone und Terroristen problemlos in einen Topf mit Bürgerrechtlern oder allzu neugierigen Journalisten geworfen werden.
In diesem Hexenkessel kann Max Mingus nur deshalb überleben, weil er vom Hauptstrom der Ereignisse immer wieder an einen abgelegenen Strand geworfen wird. Auch dieses Mal kommt er davon, weil die großen Fische einander zu zerfleischen beginnen und er aus ihrem Blickfeld gerät. Allerdings ist dies auch der Zeitpunkt, da sich Stone daran erinnert, dass er ein weiteres Kapitel der Mingus-Saga aufschlagen will. Also klinkt er sich und seinen Helden vom bereits aufgelösten Fall aus und gräbt für einen gewagten Final-Twist Mingus´ alte Nemesis Solomon Boukman wieder aus.
Der haust eigentlich auf Haiti, hat aber wie jedes überlebensgroße und globale Schurken-Genie diverse Filialen gegründet, um auch an anderen Orten seine tückischen Spielchen zu treiben. Zudem stellt sich heraus, dass er viel Zeit darauf verwendet hat, Mingus in den seelischen Ruin zu treiben. An diesem Punkt übertreibt Stone. Die bisher sehr überzeugende Geschichte benötigt diesen Twist und die ihm zugrundegelegte Verschwörung nicht. Sie leidet eher darunter, zumal allzu offensichtlich wird, dass Stone hier ein Hintertürchen für eine Fortsetzung des Ringens Mingus-Boukman öffnet. Weniger darüber sondern über einen weiteren Mingus-Roman würde sich der Leser freuen, denn Stones Talent, Hochspannung mit nicht übertriebenem Anspruch zu kombinieren, sorgt auch ohne Altlasten für intensiven Lektüregenuss.
Nick Stone, Goldmann
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