Die Stille vor dem Tod
- Bastei Lübbe
- Erschienen: Januar 2016
- 144
- Köln: Bastei Lübbe, 2016, Seiten: 477
Genial daneben
Die Stille vor dem Tod, die von Fans langersehnte Fortsetzung der Smoky-Barrett-Reihe, ist Ende September erschienen. Die Warterei hat ein Ende, aber hat sie sich auch gelohnt? In einem Interview mit der Krimi-Couch im März 2011 anlässlich der Deutschland-Premiere von Der Menschenmacher (Mcfadyens Non-Smoky-Roman) bemerkte der Autor, er wolle sich für den 5. Band der Smoky-Barrett-Reihe unbedingt ausreichend Zeit geben. Unter Druck zu arbeiten sei nicht sein Ding. Er habe schon ein paar Ideen, es ginge um das Schicksal von Kindern, aber konkret habe er noch nichts gemacht. Nun gab es schon ein Exposé in Deutsch und der Bastei Lübbe Verlag hatte bereits ein Cover entwerfen lassen - das verführte zu der Annahme, dass der für Herbst 2012 angekündigte Veröffentlichungstermin wohl eingehalten werden könnte. Je näher dieser Termin rückte, desto weiter wurde eine mögliche Veröffentlichung in die damalige Zukunft verschoben, bis letztendlich bekanntgegeben wurde, dass Cody Mcfadyen schwer erkrankt sei und ein Erscheinen des Romans grundsätzlich infrage stünde. Zeit vergeht. Cody Mcfadyen ist mittlerweile von seiner Krankheit genesen und steht auf der Gästeliste des Verlags zur Frankfurter Buchmesse mit einer Lesung und einer Signierstunde. Seit dem Veröffentlichungstag (26.09.2016) wird der Roman heftig diskutiert.
Schaut man sich die Leserkommentare und Bewertungen zu Die Stille vor dem Tod auf dem Portal eines großen Versandbuchhändlers an, ist man schon erstaunt. Über 80% der Kommentatoren äußern sich kritisch bis negativ zu Mcfadyens neustem Werk. Der Rezensent hat an anderen Stellen mehrfach empfohlen, den Meinungsäußerungen auf diesem Portal mit Skepsis zu begegnen, aber in diesem speziellen Fall kann objektiv festgehalten werden, dass die negativen Bewertungen fast ausschließlich von eingefleischten Fans der Reihe kamen. Hier konnte der Autor wohl nicht die hochgesteckten Erwartungen erfüllen, die seine Anhängerschaft von ihm erhofften.
Cody Mcfadyen zählte nie zu den favorisierten Krimiautoren des Rezensenten, obwohl er bis auf einen alle Thriller des Autors gelesen hat. Um einigermaßen den Überblick über das Genre zu bewahren, muss man auch auf Titel zurückgreifen, die man nicht unbedingt mag, die sich aber großer Beliebtheit erfreuen. Dementsprechend waren die Erwartungen des Rezensenten an Die Stille vor dem Tod nicht besonders hoch und die Überraschung, auf einen spannenden Thriller zu stoßen, war umso größer, sieht man von den bei Mcfadyen üblichen starken Übertreibungen ab. Leider hält die vorgelegte Eingangsspannung nicht lange vor.
In Denver, Colorado, werden eines Nachts kurz hintereinander drei mehrköpfige Familien brutal abgeschlachtet. Ein Massaker diesen Ausmaßes ruft das beim FBI neugeschaffene Sonderkommando für Schwerstverbrechen auf den Plan. Zur Leiterin dieser neuen Abteilung ist gerade die unverwüstliche Agentin Smoky Barrett ernannt worden. Trotz aller vorangegangenen Traumata und trotz ihrer fortgeschrittenen Schwangerschaft reist sie mit ihrem Team, bestehend aus den allseits bekannten Agenten Callie, Alan und James, an. Nach der Sichtung eines der Tatorte wird Smoky auf der Straße von einer Sechzehnjährigen mit einer Waffe bedroht. Das Mädchen phantasiert über zwei mächtige Männer, den Schlimmsten der Schlimmen, über Abtrünnige der Kirche des Fundamentalen Ichs und erwähnt, dass sich hier unter dem Wohngebiet eine Bunkeranlage befände. Als Smoky später den Bunker betritt, steigt sie hinab in eine Kammer des Schreckens, in ein Museum des Todes, ein Ort, der nicht von dieser Welt sein kann.
An diesem Punkt velässt auch Autor Mcfadyen seine fiktive Realität und unterbricht seine lineare Erzählweise. Die Folgeereignisse werden aus größerer Distanz betrachtet, in Traumsequenzen dargestellt oder in Form von Zeitungsartikeln oder Videoclips zusammengefasst. Nur selten kehrt die Handlung direkt zu Smoky zurück, bei der sich einiges getan hat, worüber der Rezensent aber schweigen muss.
Erst zum Schlussdrittel des Romans setzt die eigentliche Thrillerhandlung wieder ein. Smoky hat ihr Team versammelt, um die zurückliegenden Ereignisse, ausgehend von dem Massenmord an den drei Familien, zu diskutieren. Das Resümee der genialsten der genialen Agentinnen zu ihren bisherigen Erkenntnissen fällt dann doch bescheiden aus:
"Ich habe jetzt mehrere Wochen über die verschiedenen Dinge nachgedacht. [...] Das Problem ist, dass die ganze Angelegenheit
eine große, fette Sauerei ist." (Seite 321)
Bei all dem Budenzauber, den er mit Folter, Verschwörungen und Bombenattentaten inszeniert, hat Mcfadyen wohl vergessen, dass zur Verbrechensbekämpfung auch schnöde Polizeiarbeit gehört. Diese wird jetzt nachgeholt. Smokys Team sichtet Datenbanken, untersucht Schauplätze, stellt Theorien auf, macht Brainstorming, diskutiert und kommt tatsächlich zu einem Ergebnis, das leider beschämend für den Autor ist. Da wird ein armes Würstchen von Serienkiller aus der hintersten Ecke der Verbrecherkartei herausgezerrt und von ihm eine Verbindung zu dem wahren Übeltäter konstruiert. Diese Person, die allen gut bekannt ist, wird im wahrsten Sinne des Wortes verteufelt. Ein Switch, der so lächerlich daherkommt, wie wenn man Mutter Teresa der Kinderschänderei und der Sodomie bezichtigte. Wer nun glaubt, der Autor hätte damit das Ende der Fahnenstange an menschlicher Bosheit erreicht, wird sich noch wundern, denn der Abgrund des Bösen lauert noch unter den Lebenden und wird erst im Folgeband die Leidensfähigkeit der Leser testen.
Im Kurztext zur Person des Autors ist zu lesen, dass Mcfadyen den Prozess des Schreibens als seine Obsession bezeichnet. Dem kann man durchaus zustimmen, denn seine Ausdruckskraft bezüglich der menschlichen Abgründe hat schon etwas Wahnhaftes. Wenn man sich die Freiheit nimmt, den Satz des Kurztextes umzuwandeln in: das Schreiben dient dem Autor, seine Obsessionen auszuleben, dann liegt man vermutlich auch nicht falsch. Dass ein Autor das macht, ist ja legitim. Ob wir ihm dann folgen können (müssen), ist eine andere Sache. Der Rezensent wird es nicht mehr tun.
Cody McFadyen, Bastei Lübbe
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