Liza Marklund

Ehrgeizig, verbissen, obsessiv, weinerlich und durchgeknallt

11.2008 Sie kommt gerade vom Krimi-Festival »Mord am Hellweg« und hat sich vor wenigen Minuten im Hamburger Hotel eingecheckt. Bevor sie abends die Lesungen beim Hamburger Krimi-Festival eröffnet, nimmt sich die blonde, schwedische »Queen of Crime« noch ausgiebig Zeit für ein Interview.

»Wir haben in Schweden seit 199 Jahren Frieden, im sicheren Umfeld des schwedischen Sozialstaats fühlen sich die Leute wohlbehütet, da ist es doch kein Wunder, wenn sie ihre Angstgefühle kontrollieren und ihre Langeweile irgendwie kompensieren wollen« – so erklärt Liza Marklund den schwedischen Krimi-Boom. Auf dem Krimi-Festival in Werne waren drei der fünf nominierten Preisträger- außer ihr selbst und Henning Mankell auch Hakan Nesser- mal wieder skandinavische Autoren, wahrlich kein neues Phänomen. Es sei ja auch kein Wunder, dass es in Diktaturen, wo die Menschen ohnehin an Gewalt und Willkür gewohnt seien, keine Krimi-Kultur gebe, meint die sympathisch-spontane 46jährige Autorin, die gerne lacht und keineswegs die eiskalte, nordische Unnahbare ist : »Ich war gerade in Südamerika – weder in Argentinien noch irgendwo in den Nachbarstaaten konnte ich irgendwelche Kriminalromane entdecken. Ähnlich ist es in Spanien, wo man sich erst jetzt- viele Jahre nach dem Ende der Franco-Diktatur- für Kriminalromane ernsthaft zu interessieren beginnt.«

Da die Schweden ihren Wohlfahrtsstaat für den besten der Welt halten und die ehemalige Reporterin des Stockholmer Expressen immer schon auf die Enthüllung kritischer, neuralgischer Schwachstellen in diesem System spezialisiert war, ist sie die kompetenteste Denkmalschänderin, die man sich vorstellen kann. Im ersten Roman Olympisches Feuer (2000) entdeckte ihr alter ego, die Reporterin Annika Bengtzon, dass die allseits bewunderte Organisatorin der in Stockholm geplanten Olympischen Spiele sich nur mit Korruption und üblen Erpressungsmanövern an die Spitze des einflussreichen Olympiakomitees hocharbeiten konnte. Eine ähnliche Helden-Demontage nimmt sie in ihrem neuesten Roman Lebenslänglich vor. Da wird der wie ein Nationalheld verehrte Polizist David Lindholm in seiner Wohnung ermordet, sein kleiner Sohn ist entführt worden, die in der Wohnung anwesende Ehefrau wird sofort als Täterin vorverurteilt und vor Gericht gestellt. Lindholm hatte eine in den Medien stark beachtete Geiselnahme unblutig beendet, etliche Unterweltgrößen überführt und scheint mit einer Aura unübertroffener Unfehbarkeit umgeben zu sein – bis die unermüdlich wühlende, recherchierende und kaum ein Fettnäpfchen auslassende Reporterin Annika alle möglichen dubiosen Informationen über diesen verdienten Staatsdiener ans Licht bringt. Und schließlich den wahren Täter überführen kann.

»Ja, die komplizierte Annika«, lacht Liza Marklund. »Mag ja sein, dass bei ihr eine Schraube locker ist, weil sie meistens losheult, mit einer obsessiven Frettchenhaftigkeit ihre Spuren verfolgt und ohne Rücksicht auf Verluste im Privatleben Verdächtiger herumschnüffelt, außerdem scheint sie überhaupt keine Grenzen zu kennen und mit einer fast asozialen Gehässigkeit auf manche Leute loszugehen – aber ihre Widersprüche und ihr Versagen, das alles führt eben doch zum Erfolg. Ihre grotesken Widersprüche sind mir einfach ans Herz gewachsen.« Natürlich stecke viel von ihrer eigenen Biographie in dieser Anti-Heldin, erklärt sie. Dies sei auch ein Grund dafür, dass sie keine Angebote für die Verfilmung ihrer Romane mehr akzeptiere: »Meine Figuren sind mir ans Herz gewachsen, daher erwarte erwarte ich ein ganz besonderes Fingerspitzengefühl von den Fimproduzenten- das scheint mir zur Zeit nirgendwo gegeben. Die können mich natürlich mit Cash zuschütten, aber zum Glück bin ich darauf nicht angewiesen und lehne Verfilmungen jetzt rigoros ab.«

Zickenkrieg und Feminismus: In Lebenslänglich wird Annikas Haus in Brand gesteckt, aber als sie von ihrer Freundin Anne Hilfe und Unterstützung für ihre beiden Kinder erwartet, ist die alte Freundin völlig verstockt und empört: Sie hat jetzt gerade eine neue Beziehung laufen, der Typ ist bei ihr im Bett und überhaupt, jetzt müsste sie auch mal an sich selbst denken …Es sind also nicht immer nur die Männer, die dummdreist, egoistisch und kleinkariert agieren. Wie steht es also mit Liza Marklunds feministischen Neigungen? Schließlich wird Annika ja vom fremdgehenden Mann genervt und von Kollegen nicht gerade mit Samthandschuhen angefasst. Ganz abgesehen davon, dass der sonst so verständnisvolle Chefredakteur des Abendblatts, Anders Schymann, nun auch glaubt, Annika sei jetzt völlig durchgeknallt. Faszinierend sind ihre Romane ja auch deswegen, weil sie den journalistischen Alltagsbetrieb in der Redaktion einer Boulevardzeitung so realistisch und packend und mit brisanten Beziehungskonflikten beschreibt. In Lebenslänglich gelingt es Annika sogar, einen aus finanziellen Gründen geplanten Gesetzentwurf zur Änderung der lebenslänglichen Haftstrafe mit einer heimlch verschickten, anonymen e-mail zu Fall zu bringen. Jedenfalls ist Lebenslänglich wohl der spannendste bisher veröffentlichte Marklund-Thriller. Auch deswegen, weil er die gesellschaftlichen Schwachpunkte, die Systemfehler und Macken des schwedischen Kuschel-Syndroms bloßlegt.

»Das blöde, gönnerhafte Geschwätz mit dem Tenor ŽIhr müsst nur hart genug arbeiten, Mädels, dann schafft Ihr es auchŽ, das kann ich einfach nicht mehr ertragen! Frauen werden doch immer noch wie Menschen zweiter Klasse behandelt. Ich sage nur: Liza und Lotta!« Und jetzt legt sie sich mächtig ins Zeug, man merkt ihr den latenten Furor an angesichts ihrer eigenen Erfahrungen. Jahrelang reist die Bestsellerautorin nun schon mit ihrer Agentin Lotta rund um die Welt, um ihre Bücher zu promoten. Und regelmäßig ertönt dann auf den Flughäfen vor dem Abflug der Aufruf: »Liza und Lotta, bitte an den Schalter nach vorne kommen!« Und jedes Mal erlebe sie dann dieselbe Prozedur: »Die haben die Flüge regelmäßig total überbucht und jedes Mal suchen sie uns beide, Liza und Lotta, raus. Wir sollen den nächsten Flug nehmen, wofür wir dann mit ein paar Dollars abgespeist werden sollen.« Und wie reagiert sie dann? Empört, genervt oder mit Ironie, weil sie mal wieder als tumbes blondes Schwedenmädel eingeschätzt wurde? »Da kommt alles zusammen, ich bin dann total gefrustet und genervt! Ich blaffe die Stewardessen an und frage sie, ob wir so aussehen, dass wir dringend Geld benötigen. Dann zeige ich meistens auf irgendwelche Typen um uns herum und frage, warum die nicht für den nächsten Flug in die engere Wahl kamen.«

Sie lässt sich jedenfalls nichts bieten und hat sich nicht nur als Reporterin erfolgreich durchgeboxt. Auch als Autorin, die sich im etablierten Verlagswesen erst einen Namen machen mußte, ging Liza Marklund ihren eigenen, unorthodoxen Weg. Ihr erster Roman Olympisches Feuer wurde zwar vom renommierten Bonnier-Verlag herausgegeben. »Aber die haben überhaupt nichts für eine effektive Promotion unternommen, gar nichts! Die Bücher lagen wie Blei in den Regalen- niemand hatte das Buch anfangs gekauft. Das war alles völlig dilettantisch eingefädelt. Und wenn ich mich darüber beschwerte, dann war man im Verlag völlig perplex! Die hielten das für eine große Ehre, dass ich überhaupt zu diesen Autoren gehören durfte.« Daraufhin hatte sie sich mit einem Bekannten zusammen getan, von ihrem nächsten Roman viertausend Exemplare auf eigene Kosten drucken lassen, den eigenen Verlag Piratförlaget gegründet und die Bücher in allen möglichen Läden und Tankstellen verkauft. Das führte dann tatsächlich zum großen Erfolg. Inzwischen gibt es weltweit über dreißig Übersetzungen ihrer Romane, aber die dynamische Autorin promotet die Bücher immer noch selbst. Sie mag eben keine halben Sachen und macht daher lieber alles selbst. Als sie dann vor einiger Zeit eine Anfrage von den Schlafmützen des Bonnier Verlags bekam, die nun plötzlich ihre Bücher verlegen wollten, waren die total perplex, als sie von Liza Marklund angeblafft wurden: »Ihr habt mich doch schon mal im Programm gehabt und alles vermurkst«, hatte sie geantwortet. »Das hat diese Leute absolut verwirrt, weil sie das überhaupt nicht mehr wussten. Diese Leute konnten sich an mein erstes Buch einfach nicht erinnern und hatten alles verpennt! Unglaublich!« Die sympathische Power-Frau lacht laut auf und schüttelt ungläubig den Kopf.

Das Interview führte Peter Münder im November 2008.

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