Krimi-Hörspiele:
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"Die Experten"

Nicht nur für Hörspielexperten

Die 5-teilige Hörspielbearbeitung (Okt.22) zu je ca. 50 Minuten basiert auf dem gleichnamigen Buch der Autorin Merle Krüger, das 2021 erschien und schnell auf die Krimibestenliste kletterte. Das Buch umfasst gute 600 Seiten, da wundert es nicht, dass auch das Hörspiel seine Zeit in Anspruch nimmt. Produziert wurde das Hörspiel vom Deutschlandfunk in Kooperation mit dem NDR, der in seinen letzten Krimis eine gewisse Neigung zu Doku-Fiktion offenbarte.

Inhalt

Die 16-jährige Rita Hellberg fliegt von der Schule. Es ist Anfang der 60-Jahre. Von Hamburg reist sie zu ihren Eltern und ihrer kleinen Schwester Pünktchen nach Kairo. Dort arbeitet seit kurzem ihr Vater. Er ist ein erfolgreicher Flugzeug-und Raketeningenieur und findet in Nachkriegsdeutschland keine angemessene Beschäftigung. Da trifft es sich gut, dass der neue ägyptische Präsident Nasser Raketenexperten für große Visionen sucht. Die deutsche Politik unterstützt dies. Hellberg wurde über die Zentralstelle für Arbeitsvermittlung nach Kairo mit anderen Hochkarätern entsandt.  Nach wenigen Tagen entscheidet Papa Hellberg allein, dass Rita in Kairo bleiben muss. Sie soll sich um die kleine Schwester kümmern und einer ordentlichen Arbeit nachgehen. Er vermittelt ihr einen Bürojob im Projekt. So erhält sie täglich Eindruck von der Arbeit der „Experten“. Manche haben schon für die Nazis gearbeitet, manche in der Sowjetunion, keiner traut den Ägyptern was zu. Da bleiben Spannungen nicht aus. Aber mit einer Briefbombe hat keiner gerechnet. Waren das die Israelis? Die Situation eskaliert zunehmend. Es gibt weitere Attentate. Rita beginnt Fragen zu stellen. Kann ihr ein guter Freund ihres Bruders helfen? Ist er Journalist oder israelischer Geheimagent? Das Ganze wird zusehends gefährlicher und politischer.

Das Genre

Rezensenten haben schon beim Buch mit einer Einordnung ihre Probleme gehabt.  Es ist Roman und Dokumentation, es ist Krimi und Novelle. Und dann ist es auch noch historisch. Im Hörspielbereich gibt es allerdings auch aktuelle Ähnlichkeiten. Der „Kalte Onkel“ von Caroline Labusch basiert auf ihrer eigenen Familiengeschichte und geht bis in die 1920-er Jahre zurück. Dort entsteht die Spannung durch die Spurensuche. Ganz frisch erschienen ist auch „Der erste Tote“ von Tim MacGabhann, der Realität und Fiktion zu einem aufwühlenden mexikanischen Krimi bündelt. Im kommerziellen Bereich versucht die neue Serie „Die größten Fälle des BND“ einen ähnlichen Ansatz.

Das Politische

Das Hörspiel ist nicht direkt politisch, sondern schildert ein Familienschicksal in den 1960-er Jahren, das unversehens in politische Konflikte gerät. Der Hörer erfährt, dass alte Nazis immer noch wichtige Ämter besetzen konnten, dass die Russen keine Hemmungen hatten Nazi-Ingenieure zu beschäftigen. Dass rassistische Vorurteile gegenüber Israelis und Ägyptern Alltag waren. Und dass hochqualifizierte Experten immer politisch agieren. Gut, das gerade jetzt zu betonen. Etwas weniger direkt deutet das Hörspiel an, warum die jungen 68er-Menschen so ungeduldig wurden.

Das Hörspiel

Der hohe Anspruch des Textes führt zu einer komplizierten Erzählstruktur. Im Mittelpunkt stehen immer Rita und ihre Familie. Der Hörer erlebt mit, wie aus der frechen Göre zusehends eine junge politisierte Frau wird. Sie wird von einer „allwissenden“ Erzählerin unterstützt. Die chronologische Struktur wird durch das Betrachten von Fotos wie im Rückblick in einem Album erleichtert: Es gibt ein Foto, aufgenommen am .... Dann wird erzählt, was zu sehen ist. Manchmal nur geschildert, manchmal folgt aber auch ein innerer Monolog des Betrachters. Gelegentlich auch im Rückblick.

Die Szenen spielen in Kairo. Dort im Casino oder im Werk oder in der Wüste. Filmreife Szenerien. Alles aufwändig und sorgfältig vertont und bewundernswert anzuhören. Wie nie vorher hört man startende Raketen und glaubt die Explosionsgase zu riechen. Wie in einer Spirale klettern die Konflikte immer weiter nach oben. Die Familie mit der leidenden Mutter, dem fremdgehenden Vater und der verunsicherten Pünktchen. Dann die Experten im Werk: alle gegen die Ägypter, manche gegen die Israelis, interne Intrigen. Zuletzt hochpolitische Attentate, große Politik und alltägliche Spionage. Und die Fiktion wird zunehmend zur Dokumentation. Es werden Original-Akten vorgelesen und Original-Töne (z.B. Adenauer) eingespielt. Junge Hörer werden den Dokumentarteil kaum glauben und froh sein, dass sich wenigstens die Familienbeziehungen gebessert haben.

Das Alles wird in gutem Tempo mit beneidenswert vieltönigen Sprechern vorgetragen und ist ausgesprochen spannend und unterhaltsam.

Die Musik ist vorsichtig elektronisch und angemessen ethnisch. Bei der Szene in der Disco juckts den Hörer in den Füßen. Der Klang ist filigran integriert und technisch perfekt. Beim Sound hätte man manchmal gegen die Erwartungen der Hörer arbeiten können. Warum muss bei der Ankunft am Flughafen gleich der Muezzin rufen?

Zwar hat jeder einstündige Teil einen eigenen Titel und damit ein eigenes Thema, aber die Hörpausen dazwischen sollten nicht zu lang sein.

Making-of

Das Hörspiel wird begleitet von einer Reihe informativer Materialien. Das zweiteilige Feature von Stefanie Schulte-Strathaus gibt einen sehr persönlichen Einblick in die reale Familiengeschichte, die Kröger zum Ausgangspunkt ihres romanhaften Thrillers macht. Interviews von Massimo Maio mit der Bearbeiterin Katrin Zipse, der Regisseurin und dem Toningenieur, den Musikern und der Autorin Merle Kröger geben einen hörenden Blick in die Welt der aufwändigen und sorgfältig durchdachten Produktion eines solchen Werkes (70 Stunden Material, 12 Wochen Arbeit). Schade, dass der völlig kritiklose Interviewer im Wesentlichen die Wörter toll und spannend beherrscht. Manchmal ist es ein Nachteil, dass wir alle per du sind.

Fazit

Das Hörspiel wird seinen Weg durch die Goethe-Institute und politische Bildungseinrichtungen dieser Welt gehen. Daher sei betont: Es ist ein begeisterndes, hörenswertes Kunststück, welches Familiendrama und Politik beneidenswert verknüpft. Manche Ältere werden erblassen, wie wenig sie von dieser Wirklichkeit realisiert haben. Die Jüngeren nie verstehen, wie so etwas passieren konnte. Vielleicht ändert sich das ja doch noch.

Couch-Wertung: 95°

ARD Mediathek oder beim Deutschlandfunk

"Kajetan und die Betrüger"

Sittenbild ohne Spannungsfaktor

Krimis, die in den 20/30-er Jahren spielen, sind in letzter Zeit schwer in Mode. Da hat sich der Bayerische Rundfunk erinnert, dass einer ihrer erfolgreichsten Autoren bereits 1995 einen atmosphärisch dichten, brillant recherchierten Krimifall bearbeitet hat. Robert Hültner hat nicht nur etliche tolle Radio Tatorte geschrieben und sich eine riesige Fangemeinde erarbeitet, sondern auch eine Buchreihe um den Inspektor Kajetan, die in den 20-er Jahren in und um München spielt. Band 2 der Buchreihe wurde 1995 als stark mundartgefärbtes Hörspiel Walching produziert. Im Sept.2022 legt der BR den Band 4 (2004) der 6-teiligen Buchreihe um Kajetan als Hörspiel vor.

Inhalt

Der erfolgreiche Kommissar Paul Kajetan täuscht seinen Tod vor und versteckt sich in der Einsamkeit der Berge. Er stand in Verdacht seinen Vorgesetzten ermordet zu haben (Episode: Walching). Nun hat sich die Lage beruhigt und er kehrt im Jahr 1927 nach München zurück, wo er eine kleine Detektei eröffnet und sich mit Fällen von Kleinkriminalität über Wasser hält.

Eine Frau wird von ihrem Neffen überredet in Aktien zu investieren, verliert aber ihre gesamte neue Erbschaft. Ein Künstler wird erpresst, weil er eine junge Frau geschwängert hat. Der Künstler soll nun für die Folgen einer Abtreibung aufkommen. Ein hochgestellter Professor führt in privaten Veranstaltungen Versuche durch, bei denen er angeblich Gold erzeugt. Kajetan tigert durch Kneipen, besucht belebte Märkte und schaut nach den ihm bekannten Pappenheimern.

Letztlich sucht er auch den neuen Chef der Münchner Kripo auf, um ihn von seiner Unschuld zu überzeugen oder wenigsten neue Aufträge zu bekommen. Der Neue reagiert freundlich und vermittelt Kajetan einen Rechercheauftrag bei einem jüdischen Rechtsanwalt.

Doch dann passiert ein Unglück: Kajetan kommt mitten in der Nacht nach Hause und findet dort seinen schwerletzten Nachfolger im Amt in der Wohnung liegen. Der Verdacht fällt naheliegenderweise auf Kajetan. Es beginnt ein Wettlauf mit der Zeit. Kajetan muss erneut seine Unschuld klären und den Betrügern auf die Spur kommen. Dabei setzt er sein eigenes Leben aufs Spiel.

Das Hörspiel

Das Hörspiel ist eher ein Sittenbild der 20-er Jahre in München als ein Krimi. Die Sprache ist deftig und bayrisch. Die Menschen sind eigen, aber letztlich immer nett und zu einem Deal bereit. Kajetan zieht bei seiner Detektivarbeit durch Wirtshäuser und taucht in verschiedene soziale Kreise. Da bleibt eine Schlägerei nicht aus. Die Hauptfigur Kajetan ist zwar sympathisch, aber der Hörer kommt seinem Charakter nie nahe, sodass der Hörer keine Bilder entwickeln kann, was denn als Nächstes passiert. Das sind zwar alles wunderschön zu hörende, mehrminütige Spielszenen, aber es ist doch sehr behäbig und langatmig.

Nach Hören der ersten Episode ist immer noch unklar, ob es ein großes Thema gibt. Politik kommt nur am Rande vor. Keine Hinweise auf diese spannungsgeladene Vor-Nazi-Zeit. Aber viel heile Welt.

Die professionellen Sprecher lassen wirklich kein Rollenklischee aus. Da hilft auch die bayrisch-moderne Begleit- und Zwischenmusik nicht, die durchaus zum Grübeln anregt. Der Spannungsfaktor geht gegen Null. In der zweiten Episode zieht das Hörspiel deutlich an. Aber nach 90 Minuten tapferen Zuhörens bleibt auch die Neugier aus, wie es nun weitergeht. Autor und Regie übersehen, dass seit der Episode Walching mehr als 20 Jahre vergangen sind und es inzwischen tolle Hörspiele gibt, die uns die 20-er Jahre nahebringen, weil sie modern inszeniert sind.

Fazit

Freunde des bayrischen Dialekts, Anhänger opulenter Sittenbilder, Liebhaber hochprofessioneller Sprecher werden ihre Freude haben. Wer Charaktere, Tempo und Spannung liebt, sollte die Kopfhörer besser liegen lassen.

Da warten wir doch lieber auf eine neues Hörspiel nach Babylon Berlin.

Couch-Wertung: 65°

ARD Mediathek oder BR Hörspielpool

"Krimi-Hörspiele: Mediatheken / Tipps 19" von Malte Stamer, 11.2022
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Fotos: istock.com / tolgart

Dr. Drewnioks
mörderische Schattenseiten

Krimi-Couch Redakteur Dr. Michael Drewniok öffnet sein privates Bücherarchiv, das mittlerweile 11.000 Bände umfasst. Kommen Sie mit auf eine spannende und amüsante kleine Zeitreise, die mit viel nostalgischem Charme, skurrilen und amüsanten Anekdoten aufwartet. Willkommen bei „Dr. Drewnioks mörderische Schattenseiten“.

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